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Themenicon: navigation pathMapping und Texticon: navigation pathDer kartografische Blick
Vom kartographischen Blick zum Virtuellen
Christine Buci-Glucksmann
 
Landschaft mit dem Sturz des Ikarus (Bruegel, Pieter)
 
 
 

 

»Denken heißt reisen« (Deleuze/Guattari)

Dass jede Karte eine Reise im Denken ist, die zurückgelegte Wegstrecke und das Territorium, Lesbares und Sichtbares durch ein Einfangen des Unendlichen im kleinsten Detail miteinander verbindet, könnte der Ausgangspunkt und der Kern aller »Aufrufe« zur Kartographie sein, und zwar vom Pikturalen im 16. Jahrhundert bis zum heutigen Virtuellen. Denn mit dem »Sturz des Ikarus« von Bruegel (1558) entsteht ein neuer Blick, der sich in immer wissenschaftlicheren Atlanten und Karten entfaltet. Von oben betrachtet er das Treiben auf der Erde, bis ins Unendliche versinkt er in einem maritimen Lichthorizont, und ganz aus der Nähe kann man das winzige Bein des Ikarus erkennen. Ein solcher pluraler Blick auf das Entfernte und das Nahe lässt nach und nach »das ikarische Auge« und das kartographische Auge eins werden, in einem Raum ohne Mittelpunkt, der eine Dialektik zwischen »Ort« (site) und »Nicht-Ort« (non-site) anbietet, um die Begriffe von Robert Smithson aufzugreifen.

Als echte Alternative zum albertinischen Modell des

 

zur Welt geöffneten Fensters erzeugt die Karte somit ein deskriptives visuelles Dispositiv und konstruiert einen offenen Raum mit mehreren Eingängen, ein »Plateau«, auf dem der Blick nomadisch wird. Somit lässt sich dieses Verhältnis von Ort und Nicht- Ort in ein originäres geo-philosophisches Paradox übersetzen. Zum einen ist die Karte das Territorium, wie es der Kaiser bei Jorge Luis Borges mit seinem politischen Wahn einer Karte im Maßstab des Territorium wollte. Aber in einem anderen Sinne ist die Karte nicht das Territorium, sondern vielmehr ein Ersatz für das Territorium. Und deshalb gibt es bei Lewis Carroll eine andere, noch spielerischere Utopie, die leere Karte. Zwischen Sein und Nichtsein, Territorium und Fläche, ist die Karte das Modell eines »Dazwischenseins«, das den Blick durch eine allgemein verbreitete Panoptik deterritorialisiert, die Wegstrecken, Grenzen und Machtspiele überblicken kann wie in allen kriegerischen Strategien der Gegenwart. Daher müssen die Genealogie dieses Blickes, seine Modalitäten und seine Strategien ans Licht gebracht werden, um verstehen zu können, wie dieser Wegstrecken-Blick heute zu einem Modell des Virtuellen geworden ist. Als

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