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Öffentlichkeiten
Steve Dietz
 

Einleitung

In der zeitgenössischen Kultur überschneiden sich mehrere Aktivitätssphären: Sprache, Kunst, Identität, Kommunikationssysteme, ökonomische und rechtliche Systeme. In der so genannten Public Domain geraten diese Aktivitäten immer stärker in Konflikt miteinander. Diese Entwicklung ist nicht unbedingt neu, doch mit der zunehmenden Mediatisierung und hybriden Virtualisierung all dieser Sphären verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Öffentlichem, Privatem, Kommerz und Regierung. [1] Die Tatsache, dass Rechtssysteme und Marketingimperative sich an die neuen virtuellen Realitäten anpassen, indem sie sie inkorporieren, geht offenbar mit einer Manipulation der Grenzen einher. Nichtsdestotrotz stellt das Digitale historische Annahmen über knappe Ressourcen auf den Prüfstand, und Netzwerke können auch in einem asymmetrischen Verhältnis zu einer zentralisierten Autorität stehen. Viele Künstler benutzen diese Instrumente, um damit, Krzysztof Wodiczko zufolge, der hier die Sozialphilosophin Chantal Mouffe paraphrasiert, »ein neues agonistisches Konzept des öffentlichen Raums« in Frage zu stellen, »das sowohl Leidenschaftals auch gegensätzliche Positionen zulässt und fördert. Für sie ist Demokratie keine Lösung, sondern ein Prozess eines andauernden engagierten Diskurses in Form eines ›Agon‹, d. h. eines Wettkampfs, in den mehr Akteure (und ich hoffe auch Künstler) eingebunden werden.« [2] »Öffentlichkeiten« handelt von diesen Wettkämpfen, in denen Künstler uns dazu ermutigen, unsere Kenntnisse und Praktiken der verschiedenen öffentlichen Sphären zu erweitern.

Der Begriff des Öffentlichen

Öffentlichkeit, öffentlicher Raum öffentliches Geheimnis, öffentliches Ärgernis, öffentliche Kommunikation, öffentliche Meinung, öffentliche Bekanntmachung, öffentliche Verhandlung, öffentliche Badeanstalt, öffentliche Ausgaben, öffentliche Beglaubigung, öffentlicher Platz, öffentlicher Fernsprecher, öffentliche Bücherei, öffentliche Toilette, öffentliches Verkehrsmittel, öffentliches Haus, öffentliche Anstalt, öffentliche Schulen, öffentliche Gelder, öffentliches Interesse, öffentliche Moral, Person des öffentliches Leben, öffentliche Erziehung, öffentliche Aufgabe, öffentliche

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Kundgebung, öffentliche Sicherheit, öffentliche Ordnung, öffentlicher Dienst, öffentliches Amt, öffentliche Hand, öffentlicher Haushalt, öffentliche Einnahmen, öffentliche Sache, öffentliche Güter, öffentliches Recht, öffentliche Klage, öffentlicher Glaube, öffentliche Urkunde, öffentlicher Skandal, öffentliches Testament, öffentlicher Nahverkehr, öffentliches Bekenntnis, öffentlich-rechtliche Anstalt, öffentliche Zurschaustellung, Öffentlichkeitsarbeit, öffenlichkeitsbewusst, Öffentlichkeitsreferent, öffentlichkeitscheu, öffentliche Diskussion, öffentlicher Wohlfahrtsverband, öffentlichkeitswirksam, publizieren, publik, Publikum, Publizist, Public Relations, Teilöffentlichkeit, veröffentlichen, Veröffentlichung. [3]

Von Platon zu Mouffe

Spätestens seit der griechischen Antike wurden verschiedene Vorstellungen der ›Öffentlichkeit‹ theoretisch erörtert, sei es Sokrates, der in Platons »Gorgias« mit Kallikles über die Herrschaft des Pöbels diskutiert [4] , oder Jürgen Habermas’ »Sphäre der Öffentlichkeit« [5] , Walter Lippmanns »umfassendes Bild« [6] oder Mouffes Agonistik: Diese Öffentlichkeit warparallel immer unmittelbar mit einem Begriff des öffentlichen Raums verknüpft. Von der Agora zur Piazza zur öffentlichen Grünfläche zum Park – in einem gewissen Sinne kann ein beständiger öffentlicher Diskurs nur im öffentlichen Raum stattfinden. Zum Teil ist dies eine Frage des Publikums. Ein Diskurs wird dadurch öffentlich, dass man ein Publikum hat. Mit dem Aufstieg von Presse, Radio, Fernsehen und jetzt auch der Internet-Kommunikation erweitert sich die potentielle Öffentlichkeit über den physischen Raum in die virtuellen Räume der Kommunikationssysteme hinein.

In ihren Texten für »Survey of Media Art/Überblick über die Medienkunst« äußern sich Dieter Daniels, Inke Arns und Rudolf Frieling jeweils ausführlich über die umfassendere Medienkunstgeschichte und den Kontext, in dem die Neudefinition der Public Domain seit mindestens einem Jahrhundert stattgefunden hat. Josephine Bosma konzentriert sich in ihrem Essay für »Public Sphere_s« – »Die Konstruktion von Medienräumen« – darauf, wie die neuen Möglichkeiten, die die Netz(werk)kunst im Hinblick auf Zugang und Beteiligung bietet, dazu beigetragen haben, die Public

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Domain in drei Bereiche zu unterteilen: performative physische Schnittstellen, Kooperation und Mitautorschaft. Erik Kluitenbergs »Häufig gestellte Fragen zur Public Domain« greift diese Herausforderung auf, »zukünftige öffentliche Räume in digitalen Medienenvironments« [7] zu verstehen, indem er eine Reihe miteinander verbundener Begriffe erläutert: Public Domain, Digital Commons, Creative Commons, freie Software, Open Source, Copyleft, Netzwerk-Gesellschaft, Informationsökonomie.

Jeder dieser Essays präsentiert eine relevante zeitgenössische Geschichte und ihre Verfechter, doch es ist nicht das Ziel von »Public Sphere_s«, einen kritischen Überblick über die Philosophien und Geschichten des Öffentlichen zu bieten. Das Projekt ist nicht empirisch. Es benutzt nicht die unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs der Public Domain, um sich mittels ihrer verschiedene Künstler anzusehen, deren Werke normalerweise nicht oder zumindest nicht in erster Linie als ›öffentliche Kunst‹ betrachtet werden dürften. Es handelt vor allem von jenen Künstlern, deren Werk sich ausdrücklich mit historischen, erweiterten, neuen und bedrohtenBegriffen des Öffentlichen in vielen verschiedenen Bereichen befasst: Ästhetik, Recht, Wirtschaft, Regierung, Kommunikation, Gemeindeaktivismus und persönliche Identität.

Um nochmals auf Wodiczkos Bemerkung über Mouffe zurückzukommen: »Ihre Anerkennung der Antagonismen und der Notwendigkeit des Agonismus in einem demokratischen Prozess stellt die populäre legalistische und rationalistische Position des prominenten liberalen Philosophen Jürgen Habermas zur Demokratie, die Meinungsverschiedenheiten in einem blinden Drang nach Konsens aufzulösen versucht, radikal in Frage.« [8] Was sind die neuen Instrumente und Methodologien, die solche Debatten möglich machen und aufzeichnen?

Der Software-Künstler und Medientheoretiker Warren Sack bezeichnet die neuen vom Internet ermöglichten Konversations-»räume« als »sehr umfangreiche Gespräche« – »very large-scale conversations« (VLSC) – und vertritt die Ansicht, dass VLSC eine grundsätzliche Herausforderung für sämtliche existierenden Methoden in den Sozialwissenschaften sind, da sie eine andere Dimension

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Conversation Map (Sack, Warren), 1997Agonistics: A Language Game (Sack, Warren), 2004

der gesprächsweisen Interaktion darstellen, eine Dimension, mit der man sich bislang in den Sozialwissenschaften nicht auseinandergesetzt hat. [9] Zwei seiner Projekte befassen sich explizit mit diesem neuen Raum, »Conversation Map« (2001) und »Agonistics: A Language Game« (2004).

Wie bereits der Name nahelegt ist »Conversation Map« eine Möglichkeit jene Art VLSC zu mappen, also abzubilden, die im Internet stattfinden, etwa in Usenet-Gruppen. Das Software-Programm besteht aus vier Bestandteilen.

• Eine Netzwerkkarte verbindet die Verfasser von Botschaften, die einander antworten und/oder einander zitieren. Es handelt sich um einen visuellen Überblick über die Konnektivität der Gruppe, eine Karte des sozialen Netzwerks • Mittels einer Analyse des Inhalts der Botschaften wird eine Themenliste erstellt. • »Conversation Map« errechnet anhand eines automatischen Thesaurus eine Themenliste und erstellt so eine semantische Netzwerk-Karte möglicherweise miteinander verbundener, in den Gesprächen vorkommender Begriffe. • Schließlich werden durch Hervorhebung der Knotenpunkte oder Themenmiteinander verbundene Informationen kenntlich gemacht, einschließlich der Konversationsspur, die das Mapping generierte, so dass der/die User das Original überprüfen kann, wenn er/sie das tun möchte.

Einer der interessantesten Aspekte von »Conversation Map« ist, dass die Thesaurusfunktion Begriffe miteinander verknüpft, die von den verschiedenen, an der Debatte beteiligten ›Seiten‹ in sehr unterschiedlichen Kontexten verwendet werden. Anhand einer Analyse mehrerer hundert Botschaften der Usenet-Gruppe soc.culture errechnete der Thesaurus von »Conversation Map« beispielweise, dass »Juden« und »Araber« und »Länder« und »Völker« möglicherweise ähnliche Begriffe sind. [10]

Bei »Agonistics: A Language Game« (2004) wird das »Software-Spiel« von »Conversation Map« zum entscheidenden Aspekt des Projekts. Sack schreibt: »Seit langem schon debattieren politische Philosophen über das Debattieren. … ein drittes Lager möchte die Schlacht zwischen den moralischen Gesprächsführern und den politischen Rhetorikern beenden, indem es versucht, alle Beteiligten zum Verlassen des Schlachtfelds und zum Überdenken der Gestalt und der

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Formen des Feldes der Auseinandersetzung zu bewegen. … Politische Theoretiker wie Chantal Mouffe stellen Alternativen bereit, indem sie betonen, dass auch dann, wenn Debatte Krieg ist, letzterer nur eine, wenn auch tödliche, Form der Auseinandersetzung zwischen Gegnern ist. Mouffes Alternative zu einer utopischen, moralischen, beratenden Demokratie ist das, was sie selbst als agonistischen Pluralismus bezeichnet. Dabei versteht sie agon im Sinne jener Bedeutung, die der Begriff im Altgriechischen hat: ›Eine öffentliche Feier von Spielen; der Wettkampf um den Preis bei solchen Spielen; oder ein verbaler Wettstreit oder Disput zwischen zwei Figuren in einem griechischen Drama‹ (OED).« [11]

Die Regeln der »Agonistik« sehen vor, dass die Gesprächspartner in einer VLSC ›Spieler‹ sind. Ein Spieler ›gewinnt‹ das Gespräch (zumindest zeitweise), indem er die Themen so formuliert, dass nicht nur eine ganze Horde von Spielern auf seine oder ihre Sendungen reagieren und damit in einen Dialog miteinander treten, sondern seine/ihre Ideen auch einflussreich sind und sich über das Gesprächsnetzwerk verbreiten. Visuell wird diesdadurch veranschaulicht, dass automatisch zugewiesene Gesichter der einflussreichsten Spieler stärker in die Mitte des Bildschirms gerückt werden. Indem er agonistisches Verhalten mit Punkten belohnt und für VLSCs eine spieleartige Schnittstelle konstruiert, möchte Sack sowohl die Dynamik des Gesprächs abbilden als auch seinen Verlauf beeinflussen.

Verschiedene Kunstbegriffe

Parallel zu den Debatten über die Öffentlichkeit haben Künstler auch konsensbetonte Vorstellungen von Kunst in Frage gestellt. Allan Kaprow formulierte dies folgendermaßen: »Die japanische Gruppe Gutai, Environments, Happenings, Nouveau Realisme, Fluxus, Events, Noise Music, Zufallslyrik, Life-Theater, gefundene Aktionen, Bodyworks, Earthworks, Concept Art, Information Art – die Liste ließe sich fortsetzen – haben die Öffentlichkeiten und Kunstprofis mit merkwürdigen Vorkommnissen konfrontiert, die sehr wenig Ähnlichkeit mit den bekannten Künsten aufwiesen.« [12] Von Umberto Ecos Theorien über das offene Kunstwerk [13] bis zu Joseph Beuys einflussreicher

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4\'33\'\' (Cage, John), 1952Imaginary Landscape No. 4 (Cage, John), 1951Pockets Full of Memories (Legrady, George), 2001

Formulierung von der sozialen Plastik als »einer Kunst, die Energie in den Leuten freisetzt und sie zu einer allgemeinen Diskussion tatsächlicher Probleme veranlasst, und einer Kunst, die die Kultivierung der Beziehungen zwischen Menschen, ja fast einen Akt des Lebens, bedeuten würde« [14] dehnt sich die Kunst seit über einem halben Jahrhundert in praktischer und theoretischer Hinsicht auf den Alltag des öffentlichen Lebens aus.

Vom Offenen Kunstwerk zur Offenen Plattform

In »Das offene Kunstwerk« schreibt Umberto Eco, »wie häufig haben neue kreative Modi die Bedeutung der Form, die Erwartungen der Leute und selbst die Art und Weise, wie die Menschen die Wirklichkeit wahrnehmen, verändert? Die Poetik des offenen Kunstwerks ist Ausdruck einer solchen historischen Möglichkeit.« [15] Ein Werk wie John Cages »4’33''« ist ein klassisches Beispiel eines offenen Kunstwerks, das die Bedeutung der Form veränderte, indem es die Stille als Komposition präsentiert. Cages Werk »Imaginary Landscape No. 4« dehnt die kompositorischen Elemente über die Umwelt aus, indem es dieöffentliche Sphäre der Radioübertragungen in den Konzertsaal überführt. In beiden Fällen verlässt Cage sich darauf, dass das Publikum das, was man in der Informationstheorie als Rauschen bezeichnet, als Signal, d. h. als etwas Beabsichtigtes deutet. [16] Und indem er dieses ›Rauschen‹ zum Bestandteil seiner Komposition macht, sorgt Cage zwangsläufig dafür, dass der ewige Dialog zwischen künstlerischer Form und öffentlicher Rezeption immer stärker über die Auffassung hinausgeht, dass das Kunstwerk deutungsoffen ist, und sich der Auffassung annähert, dass der Zuhörer an der Schaffung des offenen Kunstwerks beteiligt ist.

Bei vielen neuen Medienwerken hat diese im Wesentlichen virtuelle Beziehung zwischen einem Kunstwerk und seinem Publikum konkrete Gestalt angenommen. Das offene Kunstwerk wird eine offene Plattform. [17] So fordert etwa George Legradys »Pockets Full of Memories« (2001) das Publikum auf, Gegenstände, die sich in den Taschen der Benutzer befinden, einem Scan- und Katalogisierungssystem anzuvertrauen, das dann einen sich selbst organisierenden Kohonen-Map-Algorithmus benutzt, um

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BumpList (Brandon / Brucker-Cohen)

ähnliche Gegenstände in der Nähe voneinander zu positionieren.

Zumindest in konzeptueller Hinsicht wendet sich Jonah Brucker-Cohens »BumpList« (2003) nicht an ein Ausstellungspublikum, sondern an die Teilnehmer an einer VLSC. Tatsächlich können sich nur sechs Leute gleichzeitig in eine Liste einschreiben; kommt eine siebte Person hinzu, verliert der- oder diejenige, der/die sich als erster eingeschrieben hat, seinen Listenplatz. Diese zusätzliche Regel für das »Bumplist« Listserv- Format hat zwei Folgen. Wie bei John Cages Stille wird durch die Beschränkung der Größe des VLSC dasjenige, was als Form ersetzt wird oder fehlt, als unnatürlich hervorgehoben. Außerdem handelt es sich um eine Regel, die vom Publikum ›ausgeführt‹ wird und nicht von den Darstellern. Die tatsächliche Beteiligung am Kunstwerk ist eine zunehmend verbreitete Form der öffentlichen Kunst, die aus dem von Eco theoretisch behandelten Begriff eines offenen Kunstwerks hervorgegangen ist.

Der Begriff der öffentlichen Kunst

Traditionell ist die öffentliche Kunst ein stärkerabgegrenzter Bereich gewesen als die Öffentlichkeit, obwohl sie partiell ein Versuch von Künstlern ist, ihre Öffentlichkeit zu erweitern. Dieter Daniels schreibt hierzu: »An die Verwendung neuer Techniken wie Film und Funk, die potentiell Massenmedien sind, knüpft sich die Hoffnung, die Avantgarde aus ihrer selbst verursachten Isolation zu führen, um ›die Kunst und das Volk wieder miteinander zu versöhnen‹, wie Guillaume Apollinaire 1912 am Schluss seines Buches über den Kubismus schreibt.« [18]

Teilweise handelt es sich jedoch auch um die Anerkennung der Notwendigkeit, dass über einen öffentlichen Diskurs überhaupt erst eine Öffentlichkeit und damit eine öffentliche Sphäre entstehen kann. Patricia Phillips schrieb hierzu: »Eine wachsende Zahl von Künstlern und Instanzen glaubt, dass die Verantwortung öffentlicher Künstler und Instanzen nicht darin besteht, dauerhafte Objekte zum Zwecke der Präsentation in traditionell akzeptierten öffentlichen Plätzen zu schaffen, sondern darin, sich am Aufbau einer Öffentlichkeit zu beteiligen: durch Aktionen, Ideen und Interventionen ein partizipatorisches Publikum zu ermutigen, wo es vorher

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One Trees (Jeremijenko, Natalie), 2000

keines zu geben schien.« [19]

So sind etwa viele Künstler entsetzt über das Fehlen eines öffentlichen Diskurses hinsichtlich des immer wichtiger werdenden Schauplatzes der Biotechnologie. »GenTerra« (2001) von Critical Art Ensemble ist ein partizipatorisches Theaterprojekt, bei dem das Publikum eingeladen ist, zu entscheiden, ob genetisch veränderte Bakterien in die Umwelt gelangen sollen. Der ›Schauplatz‹ ist eine Filmvorführung, bei der die Mitglieder des CAE als Wissenschaftler verkleidet sind, die der Öffentlichkeit erklären, warum ihre Tätigkeit sicher sei. »Indem es sich als ein von Profit, aber auch von einem Gefühl der sozialen Verantwortung motiviertes Unternehmen inszeniert, betont »GenTerra« die komplexe Beziehung zwischen profitorientierten Unternehmungen und den ethischen Überlegungen, die mit der Genforschung und Produktentwicklung einhergehen. Außerdem steigert das Projekt das Bewusstsein der Öffentlichkeit für Transgenik und die damit verbundenen Fakten und Fiktionen.« [20]

Entsprechend klonte Natalie Jeremijenko in ihrem ehrgeizigen Projekt »OneTrees« (2000) 1000 Bäume, umso auf die komplexe Rolle von Umwelteinflüssen hinzuweisen, die bei der öffentlichen Diskussion über das Klonen allzusehr vereinfacht wird. Diese Klone werden im öffentlichen Raum rund um die Bucht von San Francisco angepflanzt; da sie genetisch identisch sind, werden sich die unterschiedlichen sozialen und Umwelt- Bedingungen, denen sie ausgesetzt sind, im Verlauf ihres Wachstumsprozesses bemerkbar machen. In »Tree Balance« (2005), sozusagen ein Seitenableger dieses Projekts, stellt Jeremijenko zwei geklonte Bäume einander gegenüber; d. h., »Leute, die die Klone in der Galerie sehen, können den kleinen dynamischen Unterschied analysieren, der sich zwischen den Klonen entwickelt … Damit wird etwas, das sonst unsichtbar wäre, für ein nichtwissenschaftlichen Publikum aufbereitet.« [21]

Kunst der Community

Eine der Varianten der öffentlichen Kunst war die so genannte »Kunst der Community«, etwa die von Judy Baca unter Beteiligung einer Gemeinschaft geschaffenen Wandgemälde oder Projekte von Tim Rollins and K.O.S. [22] Zunehmend kreieren Künstler wie

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9 (Nine) (Harwood, Graham), 2003PDPal (Bleecker/Paterson/Zurkow), 2003

die Kollektive Superflex, Mongrel und PDPal Plattformen für das jeweilige lokale Publikum, ohne dass dieses in stärkerem Maße an der Bereitstellung des tatsächlichen Inhalts beteiligt wäre.

»Superchannel« von der dänischen Gruppe Superflex ist ein Instrument, das die Möglichkeit bietet, mit Standardtechnik Live-Internet-TV zu machen. Auf diese Weise sind lokale Gruppen imstande, lokale Inhalte zu senden. In Liverpool etwa, wurde Superflex von FACT eingeladen, mit den Einwohnern des örtlichen Hochhauskomplexes Coronation Court ihr eigenes Programm zu gestalten, um so die Gemeinschaft untereinander aufrecht zu erhalten, während das Gebäude renoviert wurde. Die Bemühungen der Einwohner waren so erfolgreich, dass sie eine eigene Gruppe namens Tenantspin gründeten, »die sich dafür einsetzt, dass die Einwohner aufgrund ihrer gemeinsamen Erfahrungen und mittels einer konstruktiven Auseinandersetzung an allen die Renovierung und den sozialen Wohnungsbau betreffenden Fragen beteiligt werden« [23] .

Die britische Gruppe Mongrel ist ein gemeinschaftsorientiertes Künstlerkollektiv, das mitGemeinschaften in Hull und London (UK), Adelaide (Australien), Kapstadt (Südafrika), Helsinki (Finnland) und der Bijlmer-Gemeinde in Amsterdam (Niederlande) zusammengearbeitet hat. Sie stellt selbst geschaffene Software-Werkzeuge wie »(9) Nine« bereit, die es spezifischen Gemeinschaften aus diesen Städten ermöglichen, sich so an ihrer Selbstdarstellung zu beteiligen, dass diese sowohl für sie selbst ein Gewinn als auch eine beeindruckende Erfahrung für Außenseiter ist. »(9) Nine« ist ein Online-Raum, der es jedem Teilnehmer ermöglicht, eine »Wissenskarte« zu erstellen, indem er sich Text, Klang, Bilder und Video hochlädt und sie gemäß einem wiederkehrenden Muster aus neun Elementen und Verknüpfungen zusammenstellt. Daraus entsteht ein Netzwerk von Hunderten miteinander verknüpften Karten, die sowohl Ausdruck der persönlichen Erfahrungen der einzelnen Teilnehmer werden, als auch eine Möglichkeit, die kommunalen Wechselbeziehungen zwischen ihnen zu visualisieren.

Das Projekt »PDPal« von Julian Bleecker, Scott Paterson und Marina Zurkow (2003) nutzt Mapping und narrativ verlaufende Szenarien, um Menschen zu

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Tapp- und Tastkino (Export, Valie (Höllinger, Waltraud)), 1968

ermutigen, ihr »Bild der Stadt« [24] jenseits ihrer cartesischen Koordinaten selbst darzustellen. Gemeinsam schaffen diese Bild-Karten eine »Communicity«, einen neuen öffentlichen Raum, der auf den Gebräuchen und dem Wissen ›vor Ort‹ basiert, anstelle eines formal gegliederten Parks oder einer Plaza.

Kunst im öffentlichen Cyberspace

Während einige Künstler und Künstlergruppen Instrumente und Plattformen schaffen, mit denen sich die Teilnehmer selbst darstellen können, verführen andere wie Valie Exports Klassiker »Tapp- und Tastkino« (1968) die Öffentlichkeit dazu, sich am öffentlichen Raum zu beteiligen. So wie Export mit ihrem Projekt die Performance aus dem Theater auf die Straße brachte und verschiedene Genres miteinander kombinierte, bringen auch viele Medienkünstler ihre Werke auf die ›Straßen‹ – und Märkte des Cyberspace, wo sich ein anderes Publikum daran beteiligen kann.

Die Netzkünstlerin Rachel Baker hat sich explizit zur Beziehung zwischen den ›Straßen‹ und dem Cyberspace geäußert: »Die Public Domain der Straße, des ›Außens‹,ist dort, wo sich die Grenzen zwischen öffentlichem und privaten ›Besitz‹ überprüfen und anfechten lassen. Die Idee, dass es bestimmte ›nicht zugängliche‹ Gebiete gibt, dass es in die Oberfläche der Städte eingebaute Systeme des Aus- und Einschlusses gibt, weckt den Wunsch, zwischen diesen Grenzen hindurchzunavigieren, sie zu überschreiten, die Lücken in ihnen zu finden. Es ist der Wunsch des Hackers, ebenso wie der des Künstlers und des Unternehmers, sowohl ästhetisch als auch politisch zu sein. Dieser Antrieb macht gerade den Kern von Irational.org aus, seine Geschichte wie auch seine inneren Beziehungen.« [25] 1997 hinterfragte Baker die Grenzen der ökonomischen öffentlichen Sphäre mit ihrem Projekt »TM Clubcard«, das die Kundenkarte der britischen Supermarktkette Tesco kaperte und eine Art Web-Ring schuf, bei dem Leute, die diese Karten besaßen, eine Belohnung erhielten, wenn sie zu bestimmten Sites mit dem Tesco-Logo surften und das Mitglied seine/ihre PIN-Nummer in ein Web-Formular eingab. Die Website wurde schließlich aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung geschlossen, und veranschaulichte so viele der das Eigentumsgesetz

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Amodal Suspension (Lozano-Hemmer, Rafael), 2003

betreffende Fragen, die in den folgenden Jahren zunehmend in den Vordergrund treten und die öffentlichen Grenzen des Cyberspace herausfordern und neu abstecken sollten.

2001 begann Keith Obadike seine schwarze Hautfarbe, »ein Erbstück, das sich seit achtundzwanzig Jahren im Besitz des Verkäufers befindet«, auf dem neuen virtuellen öffentlichen Marktplatz von eBay anzubieten. Die Art, wie er seine blackness beschrieb – »Diese blackness eignet sich, um Zutritt zu exklusiven ›sehr gefährlichen‹ Vierteln zu erlangen; Der Verkäufer rät davon ab, diese blackness bei der Arbeitsplatzsuche zu verwenden.« – spielte mit verschiedenen Klischees, die die Verbindung des Projektes zu historischen Sklavenmärkten unterstrich. Letztlich unterband eBay die Auktion. Diese Form der Zensur wird von dem fraglichen Unternehmen als Reaktion auf »Werte der Gemeinschaft« präsentiert, doch tatsächlich handelt es sich um etwas, was die österreichische Gruppe Knowbotic Research als »legale Wanze« bezeichnet hat, wovon weiter unten noch die Rede sein wird.

Raum als öffentliche Kunst

Der öffentliche Raum wird traditionell als Schauplatz für Installationen und/oder Aktionen aufgefasst. Mit der Ankunft des Cyberspace ist dieser zu einem anderen Ort für solche Werke im öffentlichen Raum geworden. Doch zunehmend wird das Gewebe der physischen öffentlichen Räume, nicht nur das, was in ihnen passiert, hybride, reaktiv, virtualisiert. Dies geschieht mit allen traditionellen öffentlichen Räumen, von Plazas zu Lobbies zu Cafes zu den Gebäuden und sogar mit der Stadt insgesamt. Rafael Lozano-Hemmers Serie von Werken »Relationaler Architektur« sind zukunftsweisende Beispiele des Raums als öffentliche Kunst. Er schreibt: »Relationale Architektur lässt sich als technologische Verwirklichung von Gebäuden und öffentlichen Räumen mit fremder Erinnerung definieren. Relationale Architektur bringt die Meistererzählungen eines Gebäudes durcheinander, indem sie audiovisuelle Elemente hinzufügt oder wegnimmt, um es zu beeinflussen, zur Geltung zu bringen oder in einen neuen Kontext zu stellen. Relationale Gebäude verfügen über vom Publikum aktivierte Hyperlinks zu vorher festgelegten raumzeitlichen Schauplätzen, zu denen andere

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Vectorial Elevation (Lozano-Hemmer, Rafael), 1999Body Movies (Lozano-Hemmer, Rafael), 2001Peoples\' Portrait (Zhang, Ga), 2004

Gebäude, andere politische oder ästhetische Kontexte, andere Geschichten oder eine andere Physik zählen können.« [26]

Unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Diskurses ist die Aktivierung des Publikums der entscheidende Aspekt. Der Medientheoretiker Timothy Druckrey schreibt: »Relationale Architektur versucht weder Einvernehmen ›herzustellen‹ noch das Post-Cinema heraufzubeschwören. Sie evoziert jene Art sozialen Raum, in dem die aktive Teilnahme kein Nebenprodukt ist, sondern die treibende Kraft bei der Schaffung einer dynamischen Agora, bei der jede Position in einem offenen System etabliert wird, das Hierarchien zerbricht und die Idee entkleidet, dass die Öffentlichkeit eine undifferenzierte Masse ist, die Medien nicht der Vorbote eines utopischen globalen Dorfes und Interaktivität nicht das Opium der Konsumenten sind.« [27]

Die neue öffentliche Plaza

Zwei von Lozano-Hemmers Werken, das bahnbrechende »Vectorial Elevations: Relational Architecture 4« (2000) und »Body Movies: Relational Architecture 6« (2001)verwandeln vorhandene Plazas in vermittelte Orte öffentlicher Aktion und Interaktion und sind in diesem Sinne auch Plattformen, bei denen die aktive Teilnahme die treibende Kraft ist. Bei Krysztof Wodiczkos 2001 realisiertem Werk »The Tijuana Projection« wurden die harten persönlichen Erlebnisse der weiblichen Bevölkerung der mexikanischen Grenzstadt Tijuana live in audiovisueller Form auf die gewaltige Kuppel des Gebäudes El Centro Cultural projiziert, wodurch dieser markante öffentliche Ort auch in einen Zeugen »fremder Erinnerungen« verwandelt wurde. Im November 2004 präsentierte »A People’s Portraitt« von Zhang Ga die Porträts von Menschen, die in New York, Singapur, Rotterdam, Linz und Brisbane aufgenommen worden waren, sowohl auf der elektronischen Reuters-Anzeigentafel am Times Square und anderen Orten in den angeschlossenen Städten als auch online, so dass sich die öffentlichen Plazas in translokale Orte verwandelten.

Die Lobby als Ort des Übergangs

Schon immer waren die Lobbies von Gebäuden mehrdeutige öffentliche Räume. Obwohl sie in

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Access (Sester, Marie), 2003Electronic Café (Galloway, Kit; Rabinowitz, Sherrie), 1984

technischer und rechtlicher Hinsicht der Kontrolle durch die Eigentümer des Gebäudes unterstehen und häufig nur von den Angestellten und Besuchern benutzt werden, stellen Lobbies nichtsdestotrotz die wichtige öffentliche Funktion eines Zwischenraumes im städtischen Gewebe dar. Diese Ambiguität kommt möglicherweise am besten in Marie Sesters »Access« (2003) zum Ausdruck, einem Werk, das es den Usern der Website ermöglicht, einzelnen Personen in öffentlichen Räumen nachzuspüren, indem sie sie mit einem Roboter-Spotlight verfolgen. Auch wenn »Access« vor allem in den Eingängen von Kulturgebäuden und bei Events wie der Grande Halle de La Villette, Paris, gezeigt wurde, veranschaulicht dieses Werk auf perfekte Weise, dass die Lobby ein Grenzbereich ist, in dem der öffentliche Diskurs zwar stattfinden darf, aber zugleich oft verfolgt und überprüft und letztlich vertrieben wird.

George Legradys Arbeit »Transitional Spaces« (1999) ist in der Lobby des Siemens-Forums in München installiert. Die Bewegung der Menschen, die den Raum durchqueren, löst auf großen Projektionsleinwänden narrative Sequenzen aus. David Small entwarf ein,allerdings nicht reaktives, Textvisualisierungssystem für die Lobby der Mary Baker Eddy Library for the Betterment of Humanity in Boston, wo sich »große Ideen aus der ganzen Geschichte, die die Welt im positiven Sinne verändert haben« von einem Brunnen über den Boden über die Gewölbebogen über den Wänden ergießen, wo man sie wie traditionelle, wenn auch bewegliche eingemeißelte Inschriften lesen kann.

Das elektronische Café

Seit dem 19. Jahrhundert war das Café eine wichtige kommerzielle Einrichtung und öffentlicher Treffpunkt der Flaneure einer Stadt. 1984 führte Kit Galloway and Sherrie Rabinowitzs zukunftsweisendes »Electronic Café« für das Olympics Arts Festival Networking und Multimedia, multimodales Computing in die Cafészene ein. Als nächstes gründeten sie eine kommerzielle Version ihres Cafés, in dem während der folgenden Jahre Hunderte von Events stattfanden.

Seither ist das Cyberscafé ein fester Bestandteil der zeitgenössischen Urbanismus, doch zugleich reaktiv und immersiv geworden und nicht bloß ein Ort, an dem ein paar Computer stehen. Maciej Wisniewskis

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netomat (Wisniewski, Maciej), 1999

»netomat« lässt sich als wandgroße Projektionen installieren, die mittels eines kundenspezifischen Browsers auf verbalen Anfragen beruhende Suchergebnisse im Internet präsentieren können. Es werden zahlreiche interaktive Wandzeitungsprojekte präsentiert, darunter »Artifacts of the Presence Era«, eine Installation der Sociability Group am MIT Media Lab, die mit einer geologischen Metapher eine impressionistische Visualisierung der sich entwickelnden Geschichte eines Raums erzeugt. »Swiss House« (2001) von Jeffrey Huang und Muriel Waldvogel enthält zwar auch ein ›Wissenscafé‹, will aber viel mehr sein; es ist »eine bewohnbare Schnittstelle, die Nationen miteinander verbinden soll«. Zu den Prinzipien von Swiss House, das auf dem Vorschlag beruht, die Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften aus der Schweiz in die U.S.A. mittels einer Rückkopplungsschleife umzukehren, gehörten eingebettete Informationsvorrichtungen, intime Links zwischen physischen und virtuellen Räumen, festgelegte Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Räumen und der bewusste Einsatz der Wahrnehmung, d. h. des Hör-, Seh-, Tast- undGeruchssinns.

Reaktive Architektur

Schon 1954 schuf Nicolas Schöffer einen 50 Meter hohen kybernetischen Klangturm für die Exposition Internationale des Travaux Publics au Parc de Saint Cloud in Paris. In den 1960er Jahren entwarf die britische avantgardistische Architekturgruppe Archigram provozierende Visionen wie »Plug-in City«, »Living Pod«, »Instant City« and »Walking City«. Während diese damals nicht realisierbar schienen, wirken sie heute weit weniger ungeheuerlich. Im Jahr 2000 gewannen die Archigram-Architekten Peter Cook und Colin Fournier einen internationalen Wettbewerb für das Kunsthaus Graz, einen fremdartigen, an einen Klumpen erinnernden Bau, für den realities.united »BIX« entwarfen, eine 900 Quadratmeter große Installation aus regulierbaren Lichtringen, die als urbane Projektionsfläche für die künstlerische Produktion fungiert.

Viele Künstler haben daran gearbeitet, Gebäudefassaden nicht nur expressiv zu gestalten, sondern sie auch auf unterschiedliche Inputs reagieren

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Kinetic Light Sculpture (Möller, Christian; Kramm, Rüdiger), 1992Enteractive (Electroland), 2005

zu lassen. Bei Christian Moellers »Kinetic Light Sculpture« (1992) verändert die Zeilgalerie in Frankfurt ihre Farbe entsprechend den jeweils herrschenden Wetterbedingungen. Bei »Enteractive« (2005) von Electroland bestimmt die Zahl der Passanten, die das Gebäude betreten, die Beleuchtung der Fassade, und genauso funktioniert kinecitys Arbeit für das »7 World Trade Center« (2005). Ben Rubin entwirft ein Beleuchtungssystem für das Cellular Biology Building in der University of Minnesota, das einem von mehr als fünfzig, über das gesamte Gebäudeinnere

verteilten Mikrofonen ermittelten Geräuschpegel entspricht.

Eines der amüsantesten reaktiven Architekturprojekte ist »Blinkenlights« (2003) des Chaos Computer Clubs, dessen Softwareprogramm »Blinkenpaint« es den Usern ermöglicht, Animationen zu programmieren, die dann auf den Fassaden von Bürogebäuden gespielt werden können, die sich mittels der Lichter in einen überdimensionalen Computerbildschirm verwandeln. Mit einem Mobiltelefon als Schnittstelle konnte man auf der Gebäudefassade sogar Pong oder Tetris spielen. Inke Arns schreibt hierzu: »Es geht bei Blinkenlightsnicht um den Aspekt einer dynamischen Architektur als mediales Ornament, sondern gerade um die größtmögliche Sichtbarkeit eines partizipatorischen Moments im urbanen Raum. Es geht, anders gesagt, um einen emphatischen Begriff von Öffentlichkeit.« [28] Die Architekten Diller + Scofidio integrieren seit langem interaktive Elemente in ihre Architekturprojekte. »Facsimile« (2005) ist ein 16 feet hohes und 27 feet (ca. 5 x 9 Meter) breiter Videobildschirm, der sich über die Fassade des Moscone Convention Center in San Francisco erstreckt. Live-Übertragungen aus den privaten Räumen des Gebäudeinneren werden mit verschiedenen fiktiven Szenen kontrastiert, von denen man annehmen könnte, dass sie sich tatsächlich so abspielen. Auf der Innenseite des Bildschirms haben Ben Rubin und Mark Hanson drei Live-Einspeisungen von Google programmiert, wodurch poetische, ungeordnete Nachrichten aus der Außenwelt entstehen.

Die Stadt als Schnittstelle

Doch wie Archigram theoretisch erläutert hat und wie es die reaktive Architektur individueller Gebäude zeigt,

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IO_dencies (Knowbotic Research), 1997

konvergieren der öffentliche Raum und die neue Diskursarchitektur der VLSC auf der Ebene der vernetzten Stadt. Der Forscher Anthony Townsend hat hierzu Folgendes geschrieben: »Während die Laborfantasien von Informatikern von nahtlosem globalem Zugang zur Breitband-Kommunikation unerfüllt bleiben, muss die Stadtforschung anerkennen, mit welch gewaltigen Tempo diese Erwartungen in der Wirklichkeit Gestalt annehmen. Die potentiellen räumlichen und sozialen Implikationen dieser neuen Infrastrukturnetze müssen identifiziert und erkundet werden.« [29] Und eine ganze Reihe von Künstlern und Forschungsprojekten, setzen sich mit der Stadt als ganzer auseinander.

Ein wichtiges frühes Projekt in diesem Kontext ist »I0_dencies« (1997) von Knowbotic Research. Nicht nur verschob »I0_dencies« Fragen urbaner Prozesse vom realen, physischen Raum in ein »experimentelles Feld von Ereignissen und Strömen im Datennetz« [30] , sondern es identifizierte auch die Möglichkeiten, die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen Lokalem und Globalem, Physischem und Virtuellem ergeben, indem es sich vorstellte, »inwieweit die Ausweitung urbanerGebiete auf den elektronischen Raum zum Auftauchen unvertrauter Eigenschaften des Urbanen führen wird« [31] . Außerdem führte »I0_dencies« Architekten, Stadtplaner, Anthropologen und Stadtbewohner in einer Diskussion zusammen, die den Spezialisten Zugangsmöglichkeiten bot, aber nicht deren Sichtweise privilegierte, ja tatsächlich eine algorithmische Mediation schuf, so dass kein Individuum sehen oder kontrollieren konnte, wie die einzelnen Ströme beeinflusst wurden. Die (virtuelle) Stadt, ihre Informationsströme und ihr Diskurs war die, hinsichtlich ihrer Größe jedes Individuum übertreffende, Schnittstelle für Veränderungen und Aktionen. »D-Tower« (2004) von Q.S. Serafijn und Nox Architects ist interessant, weil es die Richtung von »I0_dencies« gewissermaßen vom Virtuellen zum Physischen umkehrt. Einwohner von Doetinchem in den Niederlanden füllen einen Bogen mit 360 Fragen aus. Alle zwei Tage kommen vier neue Fragen hinzu. Ein Beispiel: »Sind sie glücklich mit ihrem Partner?« Mögliche Antworten: »Sehr«-»ja«-»geht so«-»nein«-»überhaupt nicht«- »irrelevant«. Für jede Antwort gibt es eine bestimmte Punktzahl, die sich mit den emotionalen Zuständen des

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Antwortenden kartografisch abgleichen lässt. Im Einzelnen sind dies: Liebe (Rot), Hass (Grün), Glück (Blau) und Angst (Gelb). Anhand dieser Antworten und den Postleitzahlen der Antwortenden wird eine dynamische emotionale Karte der Stadt erstellt, die beispielsweise die Stadtteile mit einem glücklicheren Profil zeigt. Ein Turm am Stadtrand wird durch eine Kombination farbiger Lichter erhellt, an dem man das emotionale Befinden der Stadt an diesem Tag ablesen kann. Wenn die Stadt zu hass- oder angsterfüllt ist, hält man sich möglicherweise lieber fern von ihr.

Kommunikationssysteme

Wie bereits weiter oben erwähnt, haben sich Künstler schon immer nach neuen Technologien umgesehen, unter anderem um ihr mögliches Publikum zu erweitern. Dasselbe gilt für jedes Kommunikationssystem und die mit ihm verbundene Infrastruktur. Am klarsten und entschiedensten haben Künstler den Begriff der öffentlichen Sphäre vielleicht im Hinblick auf diese Kommunikationssysteme erweitert. Inke Arns meint hierzu: »Seit den 1970er Jahren thematisieren bildende KünstlerInnen in ihrenArbeiten den sich zunehmend durch den Einfluss von (Massen-)Medien und privatwirtschaftlichen Interessen wandelnden öffentlichen Raum. Pioniere auf diesem Gebiet sind unter anderem Dan Graham, Hans Haacke, Sanja Ivekovic, Jochen Gerz und Jenny Holzer[32] Auch der Historiker und Medienkritiker Tilman Baumgärtel schreibt, dass Mail Art »ein Kunsttyp ist, der aus der Fluxusbewegung hervorgegangen ist, die man als (nicht-technologischen) Vorläufer vieler Telekommunikations- und Internetprojekte begreifen kann« [33] . Sowohl Mail Art als auch Net Art werden über Netzwerke realisiert, durch die sich theoretisch »Kunst demokratisieren und zugänglicher machen ließe«. Baumgärtel hebt hervor, dass dies ihre Sichtbarkeit nicht erhöhte; »der Netzwerkcharakter machte Mail-Artists zu einer geschlossenen Gruppe, zu der man entweder gehörte oder eben nicht«.

Anzeigetafeln

Bei Anzeigetafeln hingegen muss man sich nicht als Produzent beteiligen, um als Konsument dabei zu sein. Für Künstler stellt sich dabei, wie beim Fernsehen, eher die Frage, wie man mit kommerziellen

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PDPal (Bleecker/Paterson/Zurkow), 2003

Werbebotschaften konkurriert und sich gegen sie abgrenzt. Les Levine, der 1982-83 in Los Angeles und Minneapolis mit »Aim, Race, Take, Steal« eine der ersten Aktionen mit Anzeigetafeln im Außenraum veranstaltete, schreibt: »Seit vielen Jahren befasse ich mich mit den Kunstsystemen und ihrer Beziehung zur Gesellschaft allgemein, d.h. mit dem soziologischen Wert von Kunst und dem realen Dienst der Kunst an der Gesellschaft. Mir geht es darum, Kunst so einzusetzen, dass sie zu einer Veränderung unserer Umwelt und unseres Verständnisses für sie führt. Ich möchte die Medien als eine natürliche Ressource betrachten und die Medien so gestalten, wie andere die Materie gestalten. Insofern könnte man mein neues Werk als Medienskulptur betrachten.« [34]

Neben den Billboards selbst ist auch ihr Einsatz medienbasierter geworden. Jenny Holzer ist berühmt für ihre verschiedenen Projekte mit elektronischen Anzeigetafeln im Außenraum. Für die media_city seoul biennial von 2000 kuratierte Hans Ulrich Obrist 42 über die ganze Stadt verteilte elektronische Anzeigetafeln von Künstlern wie Christian Boltanski, Zaha Hadid und Pipilotti Rist. Seit 2000 fördert Creative Time in NewYork »The 59th Minute« auf dem NBC Astrovision von Panasonic in New York, eine Serie von 60 sechzigsekündigen Videoclips von zeitgenössischen Künstlern – darunter einem für »PDPal«. [35] Doch erst durch die Hinzufügung von Netzwerkverbindungen wie bei Zhang Gas »The People’s Portrait« wird vorstellbar, dass diese Billboards als Orte des öffentlichen Diskurses fungieren und nicht nur als einseitige Informationsübermittlung.

Für ihr Projekt »Poétrica« (2003) schuf Giselle Beiguelman einen Zeichensatz typografischer Smbole und Systemfonts, die auf verschiedenen Apparaten, von Mobiltelefonen bis zu Anzeigentafeln, gelesen werden können. Anschließend lud sie die Öffentlichkeit ein per SMS, Web und Wap Texte zu senden, die dann auf elektronischen Anzeigetafeln im Zentrum von São Paulo erschienen. Laut Beiguelman ist »der nomadische Leser jemand, der, in Übereinstimmung mit der Entropie und Logik der Beschleunigung liest, während er sich bewegt, auf Mobiltelefonen und Minicomputern, eine Art multifunktionaler Leser, der an den distribuierten Inhalt angepasst ist, jemand der zwischendurch liest, während er andere Dinge macht … ›Poétrica‹ sucht

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diesen Leser: den Bewohner der globalen Stadt.« Das von Tim Etchell entwickelte »Alphabet Billboard Cambridge« (2003) verbindet Aspekte einer Gemeinschaftsplattform mit elektronischen Anzeigetafeln. Jede Woche kann ein Einwohner von Cambridge (England) eine 7,5 Meter große Anzeigetafel als digitales Fototagebuch verwenden, und darauf sein/ihr persönliches »Bild der Stadt« Cambridge dokumentieren. Während der dreijährigen Laufdauer des Projekts ergeben diese Einträge einzelner Menschen ein auf der Gemeinschaft basierendes Porträt der Stadt, das sich Anwohner wie Fremde im Vorbeifahren ansehen können.

Telematische Medien

In ihrer ausgezeichneten Publikation »Multimedia: From Wagner to Virtual Reality« vertreten die Autoren Randall Packer und Ken Jordan die Ansicht, die Zukunft der Medien sei erstmals in Richard Wagners Begriff vom Gesamstkunstwerk erfasst worden und in den seither verstrichenen 150 Jahren sei die Annäherung das entscheidende Kennzeichen dessen geworden, was sie Multimedia nennen. »Mit seinemVorschlag, dass das Dynabook ein ›Meta-Medium‹ ist, das sämtliche Medien in einer einzigen interaktiven Schnittstelle vereint, hat Alan Kay einen Blick in die Zukunft getan«, schreiben sie. [36] Unabhängig davon, ob man das für eine beklemmende oder eine befreiende Zukunftsvision hält, besteht kein Zweifel, dass die Grenzen zwischen Medien, die primär über ihre technische Beschreibung definiert werden – Radio, Telefon, Fernsehen, Internet – hinfällig werden. 1985 verfasste Eduardo Kac das per Videotext animierte Gedicht »Reabracadabra«. 2003 passte er es für die Displays von Mobiltelefonen an, und Beiguelman gestaltete ihren Font so, dass er auf verschiedenen Vorrichtungen angezeigt werden kann, weil die Texte auf unterschiedliche Weise übertragen wurden. 2002 begann r a d i o q u a l i a (Honor Harger und Adam Hyde) mit der Ausstrahlung von »Free Radio Linux«, einer automatischen Lesung über das Internet, und zeitweise auch im Radio, 4,141,432 des Linux Kernkodes. [37] Micz Flor zufolge bezieht sich dieser Strom auf eine frühere Kreuzung der Medien. »In den späten Siebzigern und frühen Achtzigern machten Piratensender sich die Tatsache zunutze, dass viele

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Computer anfangs Code mittels Tonbändern speicherten und abfragten. Der ZX Spectrum ist wahrscheinlich der beliebteste Homecomputer, bei dem diese Technologie zum Einsatz kommt. Die Ausstrahlung eines solchen Tonsignals ermöglicht es den Zuhörern, die Software auf Tonband aufzuzeichnen und sie auf ihre Computer zu laden. Systeme, die unterschiedliche Formen der Datenspeicherung verwenden, benötigten eine spezielle Software, um sie in Tonsignale umzuwandeln, die dann von den Usern, die das Ganze empfingen, entmoduliert wurden.« [38] 1995 produzierten Guillermo Gómez-Pena und Adrienne Jenik »El Naftazteca: Cyber-Aztec TV for 2000 AD« eine Live-Satellitenübertragung, bei der Gómez-Pena einen Cyber-Aztec Piraten spielt, der von seinem Studio im Untergrund aus ein kommerzielles TV- Signal für sich vereinnahmt. Wie »Superchannel« und zahlreiche andere Projekte zeigen, kann im Jahr 2005 jeder seinen eigenen »Fernsehsender« haben. Entscheidend ist, dass alle diese telematischen Werke, unabhängig davon, welchem Medium sie nachempfunden sind oder welche Medien sie miteinander kombinieren, die öffentlicheSphäre ausweiten und die Möglichkeit eines erweiterten öffentlichen Diskurses schaffen. Außer …

Der Kode ist das Gesetz

Der Juraprofessor Lawrence Lessig vertritt in seinem Text »Kode und andere Gesetze des Cyberspace« die These, dass die Art, wie Systeme kodiert sind, – und dies kann sich genauso gut auf Geschäftsregeln und –protokolle wie auf Software beziehen, die in einer formalen Sprache geschrieben ist – de facto den Charakter einer legalen Zwangsmaßnahme haben können. »Wir leben das Leben im realen Raum und sind dabei den Auswirkungen des Kodes unterworfen. Wir leben gewöhnliche Leben und sind dabei den Auswirkungen des Kodes unterworfen. Wir leben soziale und politische Leben und sind dabei den Auswirkungen des Kodes unterworfen. Der Kode reguliert alle diese Aspekte unseres Lebens, und er tut dies im Verlauf der Zeit auf nachhaltigere Weise als jede andere regulierende Kraft in unserem Leben. Sollten wir passiv gegenüber dieser regulierenden Kraft bleiben? Sollten wir zulassen, dass sie uns beeinflusst, ohne etwas dagegen zu tun?« [39] Es gibt viele Künstler

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und Kulturorganisationen, die im Hinblick auf Gesetze wie den Digital Millennium Copyright Act [40] oder den DeCSS-Fall [41] zur direkten Aktion schreiten, darunter Paul Garrins Projekt »Name.Space«; aber ich möchte mich auf zwei spezifische Aspekte der öffentlichen Sphäre im Bezug auf Kode und Rechtsysteme beschränken.

Die legale Wanze

Anlässlich der 2002 stattfindenden Ausstellung »Open_Source_Art_Hack« im New Museum, die von mir selbst und von Jenny Marketou kuratiert wurde, schlug Knowbotic Research das Werk »Minds of Concern: Breaking News« vor. Daher entwickelten sie eine Jukebox-Schnittstelle, die nach dem Zufallsprinzip die Internetadresse einer NRO oder Kulturorganisation auswählte. Anschließend führten sie einen Port Scan [42] durch, was ihrem Rechtsberater zufolge selbst unter den Einschränkungen des vor kurzem verabschiedeten Heimatschutzgesetzes (Patriotic Act) legal war, so lange man nicht den Versuch unternahm, durch eine aufgedeckte Sicherheitslücke in den Server »einzudringen«. »Minds of Concern« gab diegescannten Sites nicht öffentlich bekannt und betrachtete das Ganze als eine Art öffentliche Dienstleistung, die darin bestand, unterfinanzierte Organisationen auf mögliche Schwachstellen hinzuweisen. Es stellte sich aber heraus, dass es im Vertrag des Internetdienstanbieters mit dem New Museum eine Klausel gibt, die das Port Scanning grundsätzlich untersagt. Weder dem Museum noch den Kuratoren gelang es, die notwendige Unterstützung zu erhalten, um gegen den Internetdienstanbieter vorzugehen oder eine Alternative zu finden, so dass das Projekt abgebrochen wurde. Knowbotic fügte dann auf den Wänden der Installation in großen Vinylbuchstaben hinzu: »_Legal Bug_Artistic_Self_Censorship_« und verdeutlichten damit, die eigentlichen, und unmittelbaren, Folgen solcher »gutartigen« legalen Wanzen. Die »New York Times« kommentierte den Vorgang folgendermaßen: »Die Auseinandersetzung lenkt die Aufmerksamkeit genau auf einen jener Punkte, um die es dieser Arbeit geht. Weil die Grenzen zwischen der öffentlichen und privaten Kontrolle des Internet nicht eindeutig sind, kann es sein, dass das, was die Künstler machen wollen, völlig legal ist, was

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Opus (Raqs Media Collective), 2001

aber noch nicht heißt, dass sie es auch wirklich tun dürfen.« [43] Die legale Wanze ist eine heimtückische Einschränkung der öffentlichen Sphäre.

Die Digital Commons

In einem gewissen Maße kann die legale Wanze auch umgekehrt wirken. Lessig trug unter anderem deshalb zur Gründung der Organisation Creative Commons bei, um sicherzustellen, dass das intellektuelle Eigentum unter den in einem Creative Commons Lizenzvertrag festgelegten Bedingungen erneut benutzt werden kann. In den Worten der Organisation hieß dies: »Creative Commons definiert das Spektrum an Möglichkeiten zwischen dem vollen Urheberrecht – alle Rechte vorbehalten – und der Public Domain – keine Rechte vorbehalten. Unsere Lizenzen helfen Ihnen dabei, Ihr Urheberrecht zu behalten, lassen aber bestimmte Verwendungsweisen Ihrer Arbeit zu – ein Urheberrecht mit einigen Rechte vorbehalten.« [44] Dieses Konzept basiert auf Richard Stallmans ursprünglichem GNU-Projekt, der Idee der »freien – frei wie in freie Rede -« Software und auf dem »Copyleft« Schutz. [45] Viele Künstler und Künstlergruppen habenihre Projekte um ähnliche Konzepte herum strukturiert. »OPUS« (2003) vom Raqs Media Collective, etwa, ist eine »offene Plattform für unbegrenzte Bedeutung«, die die User ermutigt, Texte, Bilder, Töne und Videos hoch zu laden, so dass andere sie frei modifizieren können. Modifikationen werden als «rescensions» (Rezensionen) bezeichnet, ein leistungsstarke Konzept, das Raqs in «Ein Konzises Lexikon des/für das Digital Commons» folgendermaßen definiert: «Eine Nacherzählung, ein Wort, das das gleichzeitige Vorhandensein verschiedener Versionen eines Narrativs innerhalb mündlicher und von nun an auch digitaler Kulturen bedeuten soll. Man kann daher von einer ›südlichen‹ oder einer ›nördlichen‹ rescension eines Mythos sprechen, oder von einer ›weiblichen‹ oder einer ›männlichen‹ rescension einer Geschichte, oder der Möglichkeit (um damit zu beginnen) von ›rescensions‹ aus Delhi/Berlin/Teheran eines digitalen Werks. Das Konzept der rescension legt das Gegenteil des Begriffs Hierarchie nahe. Eine rescension kann weder eine Verbesserung eines Wertes sein noch kann sie seine Verschlechterung bedeuten. Eine rescension ist jene Version, die nicht

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Swipe Bar (Swipe)

als Ersatz für irgendeine andere Konfiguration der Materialien, aus denen sie besteht, fungiert. Die Existenz verschiedener rescensions ist der Garant einer Idee oder der Allgegenwart eines Werks. Damit ist sichergestellt, dass die Konstellation des Narrativs, die Zeichen und Bilder, die ein Werk verkörpert, gegenwärtig ist und darauf wartet, jederzeit auf mehreren Sites gleichzeitig wiederholt zu werden. Rescensions sind tragbar und bewegen sich wie rotierende Satelliten in einer Umlaufbahn innerhalb eines Raums. Zusammen genommen bilden rescensions Ensembles, die ein untereinander verbundenes Gewebe von Ideen, Bildern und Zeichen darstellen.» [46]

Widerstand und Engagement

In Anbetracht der Privatisierung der öffentlichen Sphäre und, häufig aus Sicherheitsgründen erfolgenden Einschränkungen seitens der Regierung nutzt eine Reihe von Künstlern das Netz, um die Überwacher zu überwachen. Ryan McKinleys »Government Information Awareness« etwa war eine distribuierte Plattform, die verschiedene öffentlich zugängliche Datenbanken und essentielle Informationen miteinander verband, umKenntnisse zu Mitarbeitern der U.S.-Regierung zu sammeln, die zumindest in metaphorischer Hinsicht ein Spiegelbild der umbenannten Versionen des »Total Information Awareness«-Programms der Regierung darstellen. [47] »Swipe« (2004) ist eine Bar, in der Beatriz da Costa, Jamie Schulte und Brooke Singer weit mehr »servieren als nur Wein und Spirituosen«. In ihren Performances benutzen sie das Echtzeit-Datenschürfen, um ihren Gästen allein durch die Lektüre der Magnetstreifen auf ihren Führerscheinen einen detaillierten Daten-Profiler zu präsentieren. Heath Bunting und Kayle Brandons »The Status Project« (2004) untersucht, wie sich Menschen einer Datenbank mit Do-It-Yourself- Strategien bedienen können, um den bürokratischen Anforderungen für den Besitz einer offiziellen Identifikation, von Geburtsurkunden bis zu Pässen, gerecht zu werden. Eine Ausstellung wie »Kingdom of Piracy« fungiert als »offener Arbeitsplatz, um die, häufig als Raub verurteilte, freie Nutzung digitaler Inhalte als ultimative Kunstform zu erkunden« [48] .

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Making Things Public

1997 identifizierte Eleanor Heartney einen »dritten Weg« öffentlicher Kunst, der sich von den prototypischen Beispielen Richard Serras und Scott Burtons unterscheidet: »Obwohl sie sich an entgegengesetzten Enden des Spektrums öffentlicher Kunst befinden, verbindet diese Beispiele die Tatsache, dass es ihnen nicht gelingt, mit der wirklichen Komplexität des öffentlichen Kontexts zurande zu kommen; Serra nicht, weil er den alten Stillstand zwischen Avantgardekünstler und spießbürgerlicher Öffentlichkeit erneut in Szene setzt, und Burton, weil er die Öffentlichkeit als eine Art einförmige Masse auffasst, die problemlos durch gemeinsame Interessen miteinander verbunden ist … In jüngerer Zeit ist aber in den Werken von Künstlern wie Dennis Adams, Alfredo Jaar, Krysztof Wodiczko und Jenny Holzer ein dritter Ansatz zum Vorschein gekommen, der die Stadt als Ort konkurrierender Interessen, Ideologien und Sprachen begreift und existierende Foren und Formen infiltriert, um dem modernen Leben innewohnende Konflikte zu dramatisieren statt sie aufzulösen.« [49] Heartneys Formulierung, die in konzeptueller Hinsicht Mouffes umstrittener, agonistischer Demokratie ähnelt, zitiertdie Stadt als die öffentliche Sphäre, doch man kann die ›cybride‹ Umgebung nicht ignorieren: Der öffentliche Raum ist beides, physisch und virtuell. Noch wichtiger aber ist die Frage, wie wir diesen Wettkampf interpretieren. Wie, wenn nicht durch Konsens, sollen wir den »Willen des Volkes« messen? Bruno Latour schreibt über die 2005 im ZKM stattfindende Ausstellung »Making Things Public«: »Unser Politikbegriff ist allzu lange von einer absurd unrealistischen Epistemologie hintertrieben worden. Es ist hart, an zutreffende Fakten zu gelangen, und je härter sie sind, desto mehr gehen sie mit irgendwelchem kostspieligen Equipment einher, längeren Vermittlungen, noch feineren Beweisen. Transparenz und Unmittelbarkeit sind sowohl für die Naturwissenschaft wie für die Politik schlecht. Wir müssen in der Lage sein, in die Versammlungen entscheidende Fragen mit ihrem langen Gefolge komplizierter, beweiskräftiger Vorrichtungen hineinzutragen. Kein unvermittelter Zugang zur Übereinkunft, kein unvermittelter Zugang zu den Fakten der Sache. Schließlich sind wir an ziemlich obskure Wahl- und Abstimmungsverfahren gewöhnt.

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Community Edit (Nold, Christian)

Warum sollen wir uns plötzlich eine Beredsamkeit vorstellen, die ohne Dinge, Instrumente, Tropen und Apparate auskommt, und die Fakten durch irgendeine einzigartige magische transparente Sprache an die Schauplätze übertragen würde? Wenn die Politik weltlich ist, dann gilt dies genauso für die Wissenschaft…« [50] Was sind die »Dinge, Instrumente, Tropen und Apparate« wie etwa Christian Nolds »Community Edit« (2003), Software für distribuiertes, gemeinsames Editieren multipler, eigenständiger Videoquellen, um eine medienbasierte Gemeinschaftsdokumentation eines öffentlichen Ereignisses zu erstellen? Es bleibt die Frage, wie dies auch zu öffentlichem Wissen führt und wie sich dieses Wissen definieren ließe.

Übersetzung aus dem Englischen: Nikolaus G. Schneider

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