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ThemenPublic Sphere_sEditorial
Public Sphere_s
Editorial
Steve Dietz

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In der zeitgenössischen Kultur überschneiden sich mehrere Aktivitätssphären: Sprache, Kunst, Identität, Kommunikationssysteme, ökonomische und rechtliche Systeme. In der so genannten Public Domain geraten diese Aktivitäten immer stärker miteinander in Konflikt. Diese Entwicklung ist nicht unbedingt neu, doch mit der wachsenden Mediatisierung und hybriden Virtualisierung all dieser Sphären verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Öffentlichem, Privatem, Kommerz und Regierung. Die Tatsache, dass Rechtssysteme und Marketingimperative sich an die neuen virtuellen Realitäten anpassen, indem sie sie inkorporieren, geht offenbar mit einer Manipulation der Grenzen einher. Nichtsdestotrotz stellt das Digitale historische Annahmen über knappe Ressourcen auf den Prüfstand, und Netzwerke können auch in einem asymmetrischen Verhältnis zu einer zentralisierten Autorität stehen. Viele Künstler benutzen diese Instrumente, um damit, Krzysztof Wodiczko zufolge, der hier die Sozialphilosophin Chantal Mouffe paraphrasiert, »ein neues agonistisches Konzept des öffentlichen Raums« in Frage zu stellen, »das sowohl Leidenschaft als auch gegensätzliche Positionen zulässt und fördert.Für sie ist Demokratie keine Lösung, sondern ein Prozess eines andauernden engagierten Diskurses in Form eines ›Agon‹, d. h. eines Wettkampfs, in den mehr Akteure (und ich hoffe auch Künstler) eingebunden werden« [1]. Das Modul »Öffentliche Sphären« handelt von diesen Wettkämpfen, in denen Künstler dazu ermutigen, unsere Kenntnisse und Praktiken der verschiedenen öffentlichen Sphären zu erweitern.

Spätestens seit der griechischen Antike wurden verschiedene Vorstellungen der ›Öffentlichkeit‹ theoretisch erörtert, sei es Sokrates, der in Platons »Gorgias« mit Kallikles über die Herrschaft des Pöbels [2] diskutiert, oder Jürgen Habermas’ »Sphäre der Öffentlichkeit« [3] , Walter Lippmanns »umfassendes Bild« [4] oder Mouffes Agonistik: Diese Öffentlichkeit war parallel immer unmittelbar mit einem Begriff des öffentlichen Raums verknüpft. Von der Agora zur Piazza zur öffentlichen Gemeinschaft zum Park - in einem gewissen Sinne kann ein stabiler öffentlicher Diskurs nur im öffentlichen Raum stattfinden. Das ist zum Teil eine Frage des Publikums. Ein Diskurs wird dadurch öffentlich, dass man ein Publikum hat. Mit dem Aufstieg von Presse, Radio, Fernsehen und jetzt auch der Internetkommunikation erweitert sich die potentielle Öffentlichkeit über den physischen Raum in die virtuellen Räume der Kommunikationssysteme hinein. Wichtiger noch als die Reichweite und die damit einhergehende Idee des Konsens ist jedoch die Debatte. Um nochmals auf Wodiczkos Bemerkung über Mouffe zurückzukommen: »Ihre Anerkennung der Antagonismen und der Notwendigkeit des Agonismus in einem demokratischen Prozess stellt die populäre legalistische und rationalistische Position des prominenten liberalen Philosophen Jürgen Habermas zur Demokratie, die Meinungsverschiedenheiten in einem blinden Drang nach Konsens aufzulösen versucht, radikal in Frage.« [5] Was sind die neuen Instrumente und Methodologien, die solche Debatten möglich machen und aufzeichnen? Parallel zu den Debatten über die Öffentlichkeit haben Künstler auch konsensbetonte Vorstellungen von Kunst in Frage gestellt. Allan Kaprow formulierte dies folgendermaßen: »Die japanische Gruppe Gutai, Environments, Happenings, Nouveau Realisme, Fluxus, Events, Noise Music, Zufallslyrik, Life-Theater, gefundene Aktionen, Bodyworks, Earthworks, Concept Art, Information Art –die Liste ließe sich fortsetzen – haben die Öffentlichkeiten und Kunstprofis mit merkwürdigen Vorkommnissen konfrontiert, die sehr wenig Ähnlichkeit mit den bekannten Künsten aufwiesen.« [6] Von Umberto Ecos Theorien über das »offene Kunstwerk« [7] bis zu Joseph Beuys' einflussreicher Formulierung von der sozialen Plastik als »einer Kunst, die Energie in den Leuten freisetzt und sie zu einer allgemeinen Diskussion tatsächlicher Probleme veranlasst, und einer Kunst, die die Kultivierung der Beziehungen zwischen Menschen, ja fast einen Akt des Lebens, bedeuten würde« [8] , dehnt sich die Kunst seit über einem halben Jahrhundert in praktischer und theoretischer Hinsicht auf den Alltag des öffentlichen Lebens aus.

Wie Dieter Daniels schreibt, war dies teilweise ein Versuch der Künstler, ihre Öffentlichkeit auszuweiten: »An die Verwendung neuer Techniken wie Film und Funk, die potentiell Massenmedien sind, knüpft sich die Hoffnung, die Avantgarde aus ihrer selbst verursachten Isolation zu führen, um ›die Kunst und das Volk wieder miteinander zu versöhnen‹, wie Guillaume Apollinaire 1912 am Schluss seines Buches über den Kubismus schreibt.« [9] Zum Teil handelt es sich jedoch auch um die Anerkennung der Notwendigkeit, dass über einen öffentlichen Diskurs überhaupt erst eine Öffentlichkeit und damit eine öffentliche Sphäre entstehen. Patricia Phillips schrieb hierzu: »Eine wachsende Zahl von Künstlern und Instanzen glaubt, dass die Verantwortung öffentlicher Künstler und Instanzen nicht darin besteht, dauerhafte Objekte zum Zwecke der Präsentation in traditionell akzeptierten öffentlichen Plätzen zu schaffen, sondern darin, sich am Aufbau einer Öffentlichkeit zu beteiligen: durch Aktionen, Ideen und Interventionen ein partizipatorisches Publikum zu ermutigen, wo es vorher keines zu geben schien.« [10]

Phillips vertritt die Auffassung, dass ein Publikum gerade dadurch geschaffen wird, indem man es involviert. Häufig bedeutete dies »Community Art«, etwa bei den von Judy Baca unter Mithilfe der Öffentlichkeit geschaffenen Wandgemälden oder den Projekten von Tim Rollins und K.O.S. [11] Zunehmend schaffen Künstler wie die Kollektive Superflex [12] und PDPal Plattformen (Webcasting und Mapping), die das jeweilige lokale Publikum benutzen kann, ohne instärkerem Maße an der Bereitstellung des tatsächlichen Inhalts beteiligt zu sein. Wichtiger aber ist, dass Projekte wie »PDPal« das »Bild der Stadt« [13] , das die Menschen haben, dazu benutzen, eben diese Stadt selbst zu repräsentieren. Gemeinsam schaffen diese Bild-Karten eine ›Communicity‹, einen neuen öffentlichen Raum, der auf den Gebräuchen und dem Wissen ›vor Ort‹ basiert, statt eines formal gegliederten Parks oder einer Plaza. Während einige Künstler und Künstlergruppen Instrumente und Plattformen schaffen, mit denen sich die Teilnehmer selbst darstellen können, verlocken andere die Öffentlichkeit dazu, sich im öffentlichen Raum zu beteiligen, wie Valie Exports Klassiker «Tap and Touch Cinema» oder Keith Obadike, der seine schwarze Hautfarbe bei eBay virtuell zu Markte trägt. [14] Andere Künstler treten nicht persönlich in Erscheinung, sondern greifen gewissermaßen in das räumliche Gefüge der Stadt ein, von Nicolas Schöffers «Tour Spatiodynamique Cybernétique de Liège» (1961) über Peter Cook und Colin Fourniers Kunsthaus Graz (2003) bis hin zu Diller + Scofidios »Facsimile« (2004) [EL]. Im Fall beider öffentlicher Performances und öffentlichen Architekturinterventionen ist die zeitgenössische Situation hybrid; sie ist sowohl physisch als auch virtuell, genau so wie der Bereich der neuen öffentlichen Sphäre.

Am klarsten und entschiedensten haben Künstler den Begriff der öffentlichen Sphäre vielleicht im Hinblick auf Kommunikationssysteme erweitert. Inke Arns meint hierzu: »Seit den 1970er Jahren thematisieren bildende KünstlerInnen in ihren Arbeiten den sich zunehmend durch den Einfluss von (Massen-)Medien und privatwirtschaftlichen Interessen wandelnden öffentlichen Raum.« [15] Von der Mail-Art-Korrespondenz Ray Johnsons bis zu den Werbetafeln und Beschilderungen Les Levines und Jenny Holzers über die Medienwände Dara Birnbaums, Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz’ »Electronic Café«, Guillermo Gómez-Penas Vereinnahmung des Kabelfernsehen, Robert Adrian X’s »World in 24 Hours« bis zu den Streaming-Medien und Low-Power-FM-Radioübertragungen von Radioqualia trugen Künstler wesentlich zu der Einsicht bei, dass die Möglichkeiten dieser Infrastruktur sich nicht auf die eines Marketingkanals beschränkten, sondern dass sieals ein Kommunikationssystem fungieren kann, mit dem sich eine kritische, partizipatorische Öffentlichkeit schaffen lässt.

In ihrem Essay, »Die Konstruktion von Medienräumen«, vertritt Josephine Bosma die Auffassung, dass vor allem Formen von Netzkunst das hervorbringen, was Medientheoretiker als »Public Domain 2.0« bezeichnen. Sie meint, dass die Werke der in ihrem Text »beschriebenen Künstler die Menschen der Technologie auf vielen unterschiedlichen Ebenen näher bringen. Einige wecken lediglich die Neugier und versetzen in Erstaunen (die erste Stufe der Vertrautheit), andere zielen deutlich darauf ab, das Publikum einzubinden oder sogar zu bilden. Alle diese Werke behandeln die Public Domain als einen virtuellen, vermittelten Raum, der sowohl aus materiellen als auch aus immateriellen Bestandteilen besteht.« [16]

In »Public Interest« vertritt Mark Lewis die These, dass es, ungeachtet der Rhetorik der Zensur, »heute im Westen nichts gibt, das man nicht sagen kann, das heißt nichts, das, wenn es freigegeben wurde (was letztlich mit allem geschieht), auf irgendeine Weise die Annahme der Befreiung, Revolution oder des Sieges abschwächen kannq [17] . Doch zunehmend unterwandern private Vertragsabsprachen die Public Domain des freien Ausdrucks. Die Künstlergruppe Knowbotic Research, deren «IO_dencies» (1997) eines der frühesten und bedeutendsten Projekte war, das die tatsächlichen Auswirkungen virtueller Ströme auf die urbane öffentliche Sphäre untersuchte, bezieht sich auf den Begriff der »legalen Wanze«, um dieses Phänomen der Privatisierung von Rechten zu beschreiben. In ihrem Falle wurden sie daran gehindert, ein Projekt zum Rechtssystem, «Minds of Concern,» zu präsentieren, weil der Internetprovider des ausstellenden Museums jene spezifische Verwendung des Internet, um die es Knowbotic Research ging, in seinem Dienstleistungsvertrag nicht zuließ. Dies ist ein spezifisches Beispiel für das, was, Lawrence Lessig zufolge, eine zunehmende Vereinnahmung repräsentativer Gesetzgebung durch den Kodex und das mit ihm einhergehende Geflecht von Vertragsbeziehungen ist. Der Kodex ist das Gesetz. [18]

In Anbetracht der Privatisierung der öffentlichenSphäre und, häufig aus Sicherheitsgründen erfolgenden, Einschränkungen seitens der Regierung nutzt eine Reihe von Künstlern das Netz, um die Überwacher zu überwachen. Ryan McKinleys »Government Information Awareness« [19] etwa war eine distribuierte Plattform, die verschiedene öffentlich zugängliche Datenbanken und essentielle Informationen miteinander verband, um eine Kenntnisse zu Mitarbeitern der U.S.-Regierung zu sammeln, die zumindest in metaphorischer Hinsicht ein Spiegelbild der umbenannten Versionen des Total-Information-Awareness- Programms der Regierung darstellen. Zu den Performances von Swipe (Beatriz da Costa, Jamie Schulte, Brooke Singer) zählt auch das Datenschürfen (Data-mining), mittels dessen Usern allein durch die Lektüre der Magnetstreifen auf ihren Führerscheinen ein detaillierter Datenprofiler präsentiert wird. Heath Bunting und Kayle Brandons «The Status Project» untersucht, wie sich Menschen einer Datenbank mit Do-It-Yourself-Strategien bedienen können, um den bürokratischen Anforderungen für den Besitz einer offiziellen Identifikation, von Geburtsurkunden bis zu Pässen, gerecht zu werden. Eine Ausstellung wie »Kingdom of Piracy« fungiert als »offener Arbeitsplatz, um die, häufig als Raub verurteilte, freie Nutzung digitaler Inhalte als ultimative Kunstform zu erkunden« [20] .

1997 identifizierte Eleanor Heartney einen »dritten Weg« öffentlicher Kunst, der sich von den prototypischen Beispielen Richard Serras und Scott Burtons unterscheidet: »Obwohl sie sich an entgegengesetzten Enden des Spektrums öffentlicher Kunst befinden, verbindet diese Beispiele die Tatsache, dass es ihnen nicht gelingt, mit der wirklichen Komplexität des öffentlichen Kontexts zurande zu kommen; Serra nicht, weil er den alten Stillstand zwischen Avantgardekünstler und spießbürgerlicher Öffentlichkeit erneut in Szene setzt, und Burton, weil er die Öffentlichkeit als eine Art einförmige Masse auffasst, die problemlos durch gemeinsame Interessen miteinander verbunden ist […]. In jüngerer Zeit ist aber in den Werken von Künstlern wie Dennis Adams, Alfredo Jaar, Krzyzstof Wodiczko und Jenny Holzer ein dritter Ansatz in Erscheinung getreten, der die Stadt als Ort konkurrierender Interessen, Ideologien und Sprachenbegreift und existierende Foren und Formen infiltriert, um dem modernen Leben innewohnende Konflikte zu dramatisieren statt sie aufzulösen.« [21]

Heartneys Formulierung, die in konzeptueller Hinsicht Mouffes umstrittener, agonaler Demokratie ähnelt, zitiert die Stadt als die öffentliche Sphäre, doch man kann die ›cybride‹ Umgebung nicht ignorieren: Der öffentliche Raum ist beides, physisch und virtuell. Noch wichtiger aber ist die Frage, wie wir diesen Wettkampf interpretieren. Wie, wenn nicht durch Konsens, sollen wir den ›Willen des Volkes‹ messen? Bruno Latour schreibt über die 2005 im ZKM stattfindende Ausstellung »Dingpolitik: Making Things Public« schreibt: »Eine der neuen Errungenschaften der so genannten Wissenschaftsstudien ist die Tatsache, dass Forscher die grundlegende Bedeutung kleiner Praktiken, wissenschaftlicher Instrumente und verschiedener Vorrichtungen in prosaischen, alltäglichen Aktivitäten von Laboren für die Produktion naturwissenschaftlichen Wissens unabhängig von den theoretischen Aspekten der Naturwissenschaft begriffen haben. Jetzt scheint sich dieser Erfolg bis auf das Leitmotiv dieser Ausstellung zu erstrecken, das heißt keine großen Theorien, sondern Dinge, Instrumente und Apparate in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, mittels deren sich Hinweise erhalten lassen, die bei der Lösung des im Allgemeinen als Krise der Repräsentation bezeichneten Problems helfen können.« [22]

Was sind die »Dinge, Instrumente und Apparate« wie etwa Christian Nolds «Community Edit», die eine öffentliche Kunst für die öffentliche Sphäre schaffen? Es bleibt schließlich auch die Frage, wie diese zu einem öffentlichen Wissen führt und wie dieses Wissen zu definieren wäre.

Übersetzung: Nikolaus G. Schneider

© Medien Kunst Netz 2004