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Es ist erstaunlich, wie schon in der Anfangszeit der künstlerischen Arbeit mit elektronischen Medien eine Polarität existierte: Während die einen an der Präsenz und Materialität des Körpers mithilfe der oder auch gegen die Medien arbeiteten, erforschten die anderen die Immaterialitäten und Potentialitäten, die das scheinbare Verschwinden der realen Körper durch die Medien beinhaltet. Noch unbehelligt von allen theoretischen Diskursen zum Displacement und zur Simulation, wurde bereits in den 1960er Jahren der Grundstock zur Virtualisierung des Körpers gelegt, konzeptuell wie technologisch. Dieser Essay behandelt im weitesten Sinne hybride Prozesse zwischen Kunst und Leben und stellt die Frage nach dem Körper ins Zentrum der Diskussion der künstlerischen Konzepte von Happening, Aktion und Performance – die Frage nach dem Körper samt seiner medialen Verschaltungen als Feld privater wie auch öffentlicher Aktionen. Die Bewegung der Argumentation oszilliert dabei zwischen offenen und kollektiven Strukturen, partizipatorisch in vielerlei Hinsicht, und personalisierten, auf den Körper des Performers bezogenen Aktionen im Dialog mit demZuschauer. Vor dem Hintergrund heutiger künstlerischer Praxen, die gerade die radikalen Anfänge prozessualer Kunst mit und in den Medien aufgreifen und unter neuen Prämissen untersuchen, stellt sich im Zusammenhang der performativen Medienkunst bis heute die Frage von Authenzität. Die Grenzen zu raumbezogenen Installationen und interaktiven Environments sind durchlässig, doch in den neueren Aktionen, die den Körper als Handlungsfeld telematischer und netzbasierter Interventionen positionieren, könnte möglicherweise gerade das Insistieren auf der Realität des Körpers ein zentrales Motiv sein. Wenn zunächst die Wirkungen, die die avantgardistischen Strömungen des 20. Jahrhunderts auf das Verhältnis von Happening, Aktionskunst und Performance[1] zu den Medien hatten, beleuchtet werden, dann steht damit nicht die modernistische Kritik an Abbildung und Repräsentation des Körpers im Vordergrund, so interessant dies hier auch wäre, sondern die Frage danach, welche Ambivalenzen und hybriden Prozesse sich im medialen Handlungsfeld ›ereignen‹.
Eine ganze Hollywood-Tradition beruht auf der symbolischen Kinoerfahrung zuzuschauen, wie Körper verletzt werden, physische wie psychische Gewalt angewandt wird, schockierende Szenen auf das Innere der Zuschauer zielen und sie nicht nur retinal, sondern auch emotional treffen. Es gibt wohl kaum eine größere Schrecksekunde im Kino als die scheinbar reale Verletzung eines Auges durch den Schnitt mit einer Rasierklinge in Luis Buñuels surrealistischem Film »Un chien andalou« (1928). Die bis heute ungebrochene Schockwirkung dieses Moments beruht auf der Radikalität, mit der dem Organ des Sehens ›zu Leibe‹ gerückt wird. Das Sehen selber wird von Buñuel als ein gefährdeter Akt dargestellt. Der symbolische wie auch reale Kampf gegen Tabuisierungen stößt hier erstmals – zumindest in der Geschichte der Visionen – an eine Grenze. Grenzerfahrungen sind also Kinopraxis. Und doch, wie beruhigend, wenn der Schock nachlässt und es bloß wieder ›nur‹ Kino war. Wie schön, wenn das »Theater der Grausamkeit« (Antonin Artaud) nur die Theaterschauspieler real involviert. Wieder einmal sind wir gerettet. Wieder einmal wird das spielerischzerstörte Objekt der Begierde unverletzt und wiederhergestellt im Fernsehen, der Zeitschrift, dem nächsten Kinofilm zu sehen sein. Aber was, wenn es diese Grenze zwischen Kunst und Leben nicht mehr gibt? Wie ist ein Begriff von Kunst vorstellbar, der die reale Lebenszeit so radikal in das Korsett eines künstlerischen Performance-Konzepts zwängt, dass wir dies in seiner Dauer und unerbittlichen Konsequenz nicht mehr vorstellen können? Noch heute im scheinbar tabulosen medialen Zeitalter fungiert die symbolische oder reale Verletzung der Unversehrtheit des Körpers als ein zentrales Movens der Aktions- und Performance-Kunst.
Grenzerfahrungen von Produzenten wie Rezipienten wurden in den 1960er und 1970er Jahren sehr grundsätzlich angegangen. Und doch handelt es sich um Erfahrungen, die zwar historisch ihren besonderen Stellenwert besitzen, wie später ausgeführt werden wird, die aber deswegen nichts von ihrer Sprengkraft für heutige Augen, Ohren und Sinne eingebüßt haben. Der Akt einer Grenzüberschreitung muss aus heutiger
Sicht nicht mehr mit utopischen oder ideologischen Begründungen überfrachtet sein, etwa im Sinne einer Befreiung der Sexualität, da wir inzwischen verstanden haben, dass diese ohne gleichzeitig neue Codierungen der Körper nicht wert- oder gar machtfrei zu haben ist. Das »Tapp- und Tastkino« – von Valie Export 1968 öffentlich inszeniert und marktschreierisch unterstützt von Peter Weibel: »Überspringen Sie die Grenzen!« – zeigt exemplarisch, welche Wirkung dieses ›Kino‹ der direkten Aktion jenseits der historischen Kontexte der politischen wie künstlerischen Avantgarde der Aktionskünstler und Expanded-Cinema-Erforscher bis heute hat.
Zwar sind wir uns nach wie vor der Differenz zwischen privatem und öffentlichem Raum bewusst, wie ambivalent dies sich auch im konkreten Fall darstellt. Die unmittelbare Realität des Körpers wie des konkreten Orts als kollektiver Raum ist jedoch den vielfältigsten Dislozierungen und ›displacements‹ unterworfen. Nehmen wir als zweites Beispiel Tehching Hsieh und seine »One Year Performances« der 1980erJahre. Das so genannte »Time Piece«[2] aus der Serie wirft ein scharfes Schlaglicht auf alle ›zeitbasierten‹ Kunstformen. Hsieh wollte die Zeiterfahrung illustrieren, aber nicht im Zusammenhang einer konkreten Arbeit oder Aktion, sondern in ihrer reinsten Form. Die Dauer und Konsequenz, physisch wie psychisch, liegt jenseits unseres Vorstellungsvermögens. Und dennoch glauben wir dem Künstler – nicht zuletzt deswegen, weil die Realität der Performance nachprüfbar war. Zur Performance gehört die Ankündigung von Zeit, Raum und Inhalt für die Öffentlichkeit. Ihre Wirkung entfaltet sie jedoch erst im Nachhinein. Die medialen Dokumente wie auch möglicherweise die ›oral history‹ der Beteiligten bürgen für ihre Authenzität, verweisen aber immer schon auf die grundlegende Differenz zwischen Aktion und Rezeption. Die adäquate Rezeption wäre in diesem Fall, Hsiehs Performance als Anleitung zu einer wie immer gearteten Übersetzung in das eigene Leben zu nutzen. Das hieße auch, dass wir zum Produzenten unseres Lebens werden.
Von den Futuristen und ihren »Grande Serate« (1910ff.) zum Cabaret Voltaire der Dadaisten und den Neo-Dada- und Fluxus-Events (»Neo-Dada in der Musik«, »Internationale Festspiele Neuester Musik«) spannt sich der Bogen der antibürgerlichen, provokanten und situativen Künstlerevents, deren gemeinsames Interesse an der Produktion ›dynamischer Sensationen‹ zu sehen ist. Wie Umberto Boccionis Karikatur von 1911 zu entnehmen ist, handelte es sich um ein multimediales Happening avant la lettre. Bild, Ton, multiple und parallele Aktionen ohne Storyline sollten sich zu einer Aktivität im Jetzt verbinden, die den Zuschauer direkt involvierte: »[…] der Zuschauer [muß] im Zentrum der gemalten Aktion leben«[3] Die Affinität der Futuristen zur technologischen Dynamik der Industriegesellschaft ist bekannt. Damit wird vorformuliert, was spätere Strömungen und KünstlerInnen in immer wieder neuem Gewand reklamiert haben: Kunst und Leben sind in einer industrialisierten oder medialen Gesellschaft untrennbar. Die zeitgemäße Kunst besetzt die entsprechenden Handlungsfelder und -formen. Es geht um in das Leben einwirkende Produktionsprozesse und nicht um die Abschottung der Kunst vor dem Leben.
Allan Kaprow, auf dessen Environment »18 Happenings in 6 Parts« (1959) die Einführung des Begriffs ›Happening‹ zurückgeht, sprach davon, die Linie zwischen der Kunst und dem Leben so durchlässig und unbestimmt wie möglich zu halten[4], was in der Folge zu der provokativen Gleichung des Selbstdarstellers und Fluxus-Künstlers Ben Vautier führt: »ART=BEN«[5]. Auch Wolf Vostell war einer der Künstler, die propagierten, »dass Leben und Mensch Kunst sein können«, und er schreibt nicht von ungefähr vom »Ereignis als Ganze[m]«[6]. Dieser ganzheitliche Anspruch der Verknüpfung von Kunst und Leben sollte helfen, starre und tradierte Formen der Kunst wie des Lebens aufzubrechen – sozial, politisch, aber in essentialistischem Bezug auf das Individuum.
Einer der wohl einflussreichsten Vorläufer der Happening-Bewegung war die Situationistische Internationale, die von circa 1957 bis 1972 bestand, jedoch bereits auf radikalen Filmexperimenten und schriftlichen Thesen zur »Gesellschaft des Spektakels« von Guy Debord seit den frühen 1950er Jahren aufbaute: »Die Konstruktion von Situationen beginnt
jenseits des modernen Zusammenbruchs des Begriffs des Spektakels. Es ist leicht zu sehen, wie sehr gerade das Prinzip des Spektakels – die Nichteinmischung – mit der Entfremdung der alten Welt verknüpft ist. Umgekehrt sieht man, wie die gültigsten revolutionären Forschungen auf dem Gebiet der Kultur versucht haben, die psychologische Identifizierung des Zuschauers mit dem Helden zu brechen, um ihn aktiv werden zu lassen durch die Provokation seiner Fähigkeiten, das eigene Leben umzugestalten. So ist die Situation dazu bestimmt, von ihren Konstrukteuren erlebt zu werden.«[7] Nach Roberto Ohrt waren es vor allem die Praxis der Zweckentfremdung und die Kategorie des Kontextes, die den situationistischen, revolutionären Ansatz formten. Zu dieser provokatorischen und poetischen Praxis[8] gehörte auch das ziellose Driften (»dérive«) im städtischen Raum, das provozierende Konstruieren von Situationen, die einen direkten politischen Effekt haben sollten und in der Zeit der Pariser Studentenunruhen tatsächlich auch hatten. Das für unseren Zusammenhang interessante Moment liegt in dem auf den Medieneffekt zielenden Aktionismus. Der von den Medien aufgegriffene Skandal wird zum integralenBestandteil künstlerischer Aktionen und später direkt politischer, aktivistischer Konzepte.[9] Medialität, so lässt sich pointiert folgern, beruht auf dem erfahrenen Umgang mit medialen Bedingungen, nicht aber per se auf dem direkten Einsatz technologischer bzw. elektronischer Mittel.
Im Umfeld der antibürgerlichen Praktiken etwa des Wiener Aktionismus – »an activist gesture pertaining to the body«[10]–, schockierender Skandale und der Kunst als AntiKunst[11] bis hin zu den kunstimmanenten Versuchen Yves Kleins und seinen vor bürgerlichem Publikum inszenierten »Anthropometrien« (1958–1960), malerischen Prozessen mit weiblichen, nackten, ›lebenden Pinseln‹, bewegten sich KünstlerInnen, die sich mit den Interferenzen der verschiedensten Kunstformen und der Intermedialität befassten und dies mit einem dezidierten Interesse an den technologischen Bedingungen unserer Gesellschaft verbanden. Künstler wie Allan Kaprow, John Cage und später die Fluxus-KünstlerInnen wollten nicht nur dem Zufall und der Unbestimmtheit eine vornehme Rolle in der Kunst einräumen, sondern es ging ihnen gerade um die Aktivität und Partizipation der Teilnehmer.[12]
In zum Teil größter Nähe und Sympathie zu diesen experimentellen Formen arbeitete John Cage an einer Alternative zur Navigation zwischen der Scylla des Gesamtkunstwerks wie der Charibdis der Kunst=Leben-Praxis. Am Black Mountain College in North Carolina erprobten Robert Rauschenberg, Merce Cunningham und John Cage eine nachhaltig produktive Konstellation unabhängiger Kollaboration. Zusammenarbeit verstanden sie gerade nicht als ganzheitliche ›Fusion‹ der verschiedenen Künste, sondern in den Worten von Lawrence Alloway als eine »Ästhetik des Heterogenen«. Der implizite Glaube an die Möglichkeit, dass durch die Kombination zufälliger Ereignisse etwas offenbar wird, das durch intentionales Handeln nicht zugänglich ist, befreite – so die Hypothese – unbewusste Bedeutungsebenen. Die bis heute virulenten Schlüsselbegriffe von Situation, Multiplizität, Parallelität oder Kontingenz waren die Leitlinien in einem offenen System von Operationen, das zum Beispiel in Bezug auf die Musik die Musiker vom vorherbestimmten Takt und Gleichklang befreite. Nach John Cage war dies die Anerkennung eines Zeitbegriffs, der »vonRadioübermittlungen und dem Fernsehen schon anerkannt wurde, nicht zu reden vom Magnettonband und gar vom Luftverkehr, von Abfahrt und Ankunft […und] nicht zu reden von der Telefonie«.[13]
John Cage, Merce Cunningham und Robert Rauschenberg und in der Folge viele Produktionen des Judson Dance Theaters, wo auch Yvonne Rainer und Carolee Schneemann ›inszenierten‹, setzten nicht auf ein ganzheitliches Streben, sondern auf künstlerische Unabhängigkeit und Differenz. Sie knüpften damit an das an, was Bertolt Brecht schon 1930 in seinen »Noten zur Oper« gegen das Wagnerische Gesamtkunstwerk ins Feld führte: »Solange ›Gesamtkunstwerk‹ bedeutet, daß das Gesamte ein Aufwaschen ist, solange also Künste ›verschmelzt‹ werden sollen, müssen die einzelnen Elemente alle gleichermaßen degradiert werden, indem jedes nur Stichwortbringer für das andere sein kann. […] Musik, Wort und Bild mußten mehr Selbständigkeit erhalten.«[14] John Cage hat dies, wie bereits zitiert, auf die verschiedensten technischen und elektronischen Aufzeichnungs- und Sendemedien übertragen. Stellvertretend für viele strukturell offene
Aufführungen unter Einbeziehung von medialen Techniken sei hier das 1965 von Cunningham zusammen mit John Cage, Billy Klüver, Nam June Paik und Stan VanDerBeek aufgeführte, interaktive Tanzprojekt »Variations V« zitiert, in dem durch fotoelektrische Sensoren und Mikrofone, die auf die Tanzbewegungen reagierten, der begleitende Soundtrack zum Tanz generiert wurde.[15]
Aber auch die Erfahrung des eigenen Körpers in der konkreten Zeit an einem konkreten Ort wurde für Cages Performances, hier noch im engeren Sinne einer theatralischen oder musikalischen Aufführung, zum performativen Akt einer offenen Struktur: »Das beste Beispiel ist wohl das berühmte »4'33''«, zuerst von David Tudor in Woodstock, N.Y., im August 1952 aufgeführt. Angeregt durch das Erlebnis in einem schalltoten Raum – wo Cage nicht die erwartete totale Stille erlebte, sondern die hohen Töne seines Nervensystems und das tiefe Brummen seiner Blutzirkulation – beschloss er, dass ›Stille‹ in der Musik tatsächlich aus einer beliebigen Anzahl von ›Klangereignissen‹ komponiert wird, die nicht von den Musikern oder den Instrumenten herrühren.«[16] Der schalltote Raum, diescheinbare Isolation von allem Ereignishaften der äußeren Welt, schärft gerade die Konzentration auf die Wahrnehmung des eigenen Körperrauschens. Ein künstlerischer Akt situiert sich somit immer im nicht nur metaphorischen Spannungsfeld von Innen und Außen.
Eine experimentelle Aktion ist, nach John Cage, in ihrem Ergebnis nicht absehbar. Auch das Happening – nach Allan Kaprow schlicht: »something happens« – ist vom Ergebnis her offen, setzt jedoch in ganz anderer Weise als Cages Kompositionen auf einen Ereignischarakter.[17] Das Happening ist dabei keine singuläre Erscheinung einer bestimmten historischen Konstellation, sondern in bestimmten Aspekten ein Charakteristikum der Avantgarden des 20. Jahrhunderts, siehe James Joyces Begriff der Epiphanie, Walter Benjamins Hinweise auf den Schock als poetisches Prinzip und die blitzhafte Erkenntnis des »unrettbar sich verlierenden«[18], das zur Genüge zitierte Vorbild von Jackson Pollocks ›Action Painting‹, das auf den Prozesscharakter des Malens verwies, oder
Yves Kleins Methode der inszenierten Körpermalerei. Das Happening fügte den avantgardistischen Strömungen des 20. Jahrhunderts jedoch eine entscheidende Komponente hinzu – in den Worten von Jean-Jacques Lebel: »Was wir mit den Happenings getan haben, war nicht einfach nur, den Leuten etwas zum Anschauen zu geben, sondern ihnen etwas zu tun zu geben, etwas, an dem sie teilhaben und das sie schöpferisch einsetzen konnten.«[19] Damit wurde klar, dass es nicht mehr nur um veränderte, prozesshafte Produktionsweisen ging, sondern um dialogische oder partizipatorische Prozesse zwischen Produktion und Rezeption in der Kunst, in den Medien, auf den Straßen.
In »Konzepte für eine operative Kunst« schreibt Jeffrey Shaw 1969: »Das Ereignis, das wir suchen, entsteht, wenn eine bestimmte Zusammensetzung von Kunst/Architektur/Spektakel/Technologie eine erweiterte Arena des Willens und der Aktion, offen für Jedermann, in Betrieb nimmt.«[20] Mit dem Begriff des Operativen – von John Cage ebenso propagiert – verknüpften sich vielfältige Parallelitäten, Interferenzen, Intermedialitäten (Dick Higgins). Die Kontingenz wie die Kontinuität, das Flüssige wie Amorphe, das Offene und Prozesshafte waren Begriffe,die die Raster und Codes traditioneller kultureller Produktion dekonstruieren sollten. Vostell machte daraus seine berühmte Wortschöpfung: Decollage (siehe »Television Decollage«; »TV-Décollage no. 1«; »TV-dé-collage für Millionen«). Kunst sollte als Störfaktor in das Leben überführt werden und umgekehrt. So hatte Gustav Metzger 1966 das berühmte »Destruction in Art Symposion« in London organisiert, das den schöpferischen Destruktionsprozess inszenierte. Ein wesentliches Element dieser Haltung war jedoch in der folgenden Zeit die konstruktive Kreation von Environments und, im heutigen Sprachgebrauch, offenen Plattformen. Die Kunst war das, was die Besucher und Teilnehmer daraus machten. In Peter Weibels »Action Lecture« (1968) reguliert das Publikum über die eigene Lautstärkefrequenzen interaktiv die Vorführung eines Films. Aber es ging auch ganz ohne vorproduzierten Content und die Nutzung technischer Medien. Es gab eine Fülle von multimedialen oder immersiven Environments im Kontext des Expanded Cinema und der experimentellen Architektur, so dass sich die Teilnehmer sozusagen vollkommen im Medium selbst bewegten.
Dem Happening konnte aber auch ein totalitärer Charakter aneignen, so ist Al Hansens Kommentar zu Wolf Vostells »YOU«-Happening (1964) zu verstehen. Weniger das Totalitäre als vielmehr die Pluralität und Parallelität von Ereignissen oder Nicht-Ereignissen wurde zum Merkmal des »24-Stunden Happenings« 1965 in der Galerie Parnass, das der Galerist Rolf Jährlings zum Abschluss seines 15-jährigen Avantgarde-Programms veranstaltete. Hier erlebte unter anderem Paiks Robot K-456, laut Paik »der erste nicht-menschliche Aktionskünstler«, sein erstes öffentliches Auftreten in Europa. Doch Happening – so die einleuchtende, bissige Kritik Nam June Paiks – muss sich zwischen »echter Erfahrung« als nicht-öffentlichem Einzel- oder Gruppenprozess und der inszenierten/medial vermittelten Konzertvariante entscheiden.[21] Diese Netzbeschmutzungverziehen ihm viele Künstlerkollegen aus dem Fluxus-Umfeld nicht (siehe die Postkarte: »Traitor, you left Fluxus«). Aber wie man an Allan Kaprows eigener Ambivalenz gegenüber dem Begriff Happening ablesen kann[22], führten die Erfahrungen mit der Gleichsetzung von Kunst und Leben in der Folge mehr und mehr zu einem bewussterenInszenieren aktionistischer oder performativer Prozesse, was auch eine Rückkehr in die Traditionen des Theaters und des Museums[23] vorbereitete, während die auf das ›Leben‹ abzielenden Intentionen in eben diesem schließlich aufgingen und zur Nutzung von Situationen und Räumen jenseits der traditionellen Kunst-Welt führten. Einer dieser Räume war das Fernsehen, ein Kontext, der ebenso seine eigenen Regeln hatte wie der Kunstkontext im Unterschied zum ›realen Leben‹.[24]
Die Zeit um 1968 war der Kulminationspunkt der verschiedensten künstlerischen Versuche, Ereignisse ›passieren‹ zu lassen. Dass Ereignishaftigkeit jedoch nicht planbar ist, war die inhärente Crux dieser Konzepte. Diese Problematik der Happening-Bewegung löste sich in der Hinwendung zu inszenierten Aktionen und Performances einerseits, die oft mit einem dezidierten Anti-TV-Impetus operierten, sowie zu sehr viel spezifischerenmedialen Aktionen innerhalb und außerhalb des Fernsehens.[25] So wurde nicht einspezifischer Inhalt für das Fernsehen inszeniert,
sondern eine prozesshafte Situation geschaffen, die die medialen Bedingungen des Fernsehens vorführte. Der Erfolg einer Aktion maß sich an der Zuschauerbeteiligung, die in der Form des Protestschreibens oder -anrufs die ›Partizipation‹ dokumentierte. Eine Aktion, die sich ›versendete‹ und zu keinem Riss in der gleichförmigen Oberflächenspannung des Fernsehkonsums führte, war eine erfolglose Aktion beziehungsweise musste erst wieder in den Kunstkontext rückübersetzt werden, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
Eine Live-Sendung war potentiell eine Option auf Partizipation in Echtzeit, wie schon Umberto Eco in seinem einflussreichen Buch »Das offene Kunstwerk« von 1963 skizzierte. Die Möglichkeit, auf telematische Weise an einem Ereignis aber nur in einer vorgegebenen, rezeptiven Weise Anteil zu nehmen, eben nur als Konsument zu ›partizipieren‹, wurde von Nam June Paik schon in seiner ersten Fluxus-Ausstellung »Exposition of Music – Electronic Television« 1963 kritisiert. Wie sehr die Fülle der Optionen, zu agieren und zu intervenieren, vom künstlerischen Konzept unterlaufen und vom Publikummit Passivität beantwortet wurde, zeigt jedoch exemplarisch das wegweisende Fernseh-Happening »Black Gate Cologne« (1968) von Otto Piene und Aldo Tambellini. Aktionen im Studio mit Publikum und Künstlern, vor und hinter der Kamera in der künstlerischen wie technischen Regie – all dies scheiterte an den medialen Anforderungen des Fernsehens, das auf der ›anderen‹ Seite nach wie vor reine Konsumenten bediente. Was als potentiell bewusstseinserweiterndes Konzept geplant war, transformierte sich im Laufe der Produktion von einem Happening mit Studiogästen zu einem visuellen Bombardement des Publikums im Studio wie vor den Bildschirmen mit collageartigen Impressionen, Überlagerungen und Verfremdungen. Dennoch gebührt diesem vom WDR in der Redaktion von Wibke von Bonin produzierten Experiment einherausragender Stellenwert für die tatsächlichen Grenzen einer direkten Übertragung von Ereignisformen des Theaters und des Ausstellungsraums in den medialen Kontext. Das Fernsehen funktioniert nach eigenen Gesetzen und Bedingungen. Diese produktiv zu machen, war »Black Gate Cologne« nicht gelungen. Kunst ›live‹ birgt also
ein Risiko, der TV-Produzent distanziert sich daher gerne von dieser Verantwortlichkeit – so auch noch 1977 in der Anmoderation zur Live-Eröffnung der documenta 6.
Um institutionelle wie personelle Hindernisse zu umgehen und gleichzeitig Verantwortung zu delegieren, versuchten Künstler wie Wolf Vostell, Happenings nicht räumlich und dramaturgisch einzuengen, sondern sie im Kopf des Betrachters zu realisieren, sei es als »Verwischungen und Ideenfelder, die von der Phantasie des Betrachters realisiert und darin ihre Bestätigung finden können«[26], sei es als Handlungsanweisungen zum Beispielin »Morning Glory« (1963), wie sie noch in den 1990er Jahren mit dem Projekt »Do It« des Kurators Hans-Ulrich Obrist wieder aufgegriffen wurden.[27] Der Ort der Handlungwar die Galerie oder das Fernsehen, aber auch die öffentliche Straße oder das private Haus. Die Bedingungen waren also mehr oder weniger determiniert. Heute realisiert sich der Aktionismus in der letzten Konsequenz allein konzeptuell als Partizipation über das Internet. Der Ort ist nun im Höchstmaß variabel, offen und potentiell global vernetzt. Die bewusstseinserweiternde Aktionder 1960er Jahre überlebt 30 Jahre später als Hobby und »Do-It«-Yourself-Variante, wobei man seine eigene Aktualisierung des künstlerischen Konzepts per Foto auf der Website des Projekts dokumentieren lassen kann. Während Joseph Beuys propagierte, dass jeder Kunst machen kann, deutet die postmoderne Variante dies um: Alles muss man inzwischen selbst machen – sogar die Kunst.[28]
Mitte der 1960er Jahre war es kaum vorstellbar, dass die elektronischen Tools einmal beim Discounter an der Ecke zu haben sein würden. Immerhin wurde zunehmend deutlich, dass an eine Erforschung des Zusammenhangs von Kunst und Technologie nicht mehr unabhängig von der Industrie zu denken war. Während einerseits in der Folge der Situationisten eine Entwicklung hin zu kritischem, politischem Aktivismus die Kunst formte – Jean-Jacques Lebels Umwidmung des Pariser Mai 68 als einzigartiges und größtes Happening mag hier als typisches Beispiel gelten[29] – entsteht in den USA gleichzeitig eine der einflussreichsten Initiativen zur Erforschung möglicher
Kooperationen zwischen Künstlern und Ingenieuren unter dem Namen Experiments in Art and Technology (E.A.T.). Die tragenden Säulen des Vereins waren aus Ingenieurssicht Billy Klüver und aus künstlerischer Perspektive Robert Rauschenberg. Eines der wegweisendsten Ereignisse aus medienkünstlerischer Perspektive waren 1966 die »9 Evenings: Theater and Engineering«. Es ging also schon im Titel um eine Weiterentwicklung der Theaterexperimente. Doch weder ein Theater noch ein Museum hätte Raum genug für ein derartiges Experiment geboten. Die Entscheidung für den Aufführungsort der New Yorker Armory, eine leerstehende riesige Halle, ist symptomatisch für die auch später immer wieder realisierte Besetzung neuer oder auch alter ungenutzter Räume durch mediale Events und temporäre Festivals.
Die mediale theatralische Inszenierung erlebte einen enormen Aufschwung durch die sich überschneidenden Ansätze zwischen Expanded Cinema und Pop, nicht zuletzt aber eben auch durch die Kooperation mit der Industrie. Als hätte es Guy Debords vernichtende Kritik an der »Gesellschaft desSpektakels«[30] nie gegeben, führt ein Bogen von den Undergroundevents zum Beispiel der Eventstructure Research Group (unter anderem mit Jeffrey Shaw) und der Vereinnahmung audiovisueller immersiver Räume, wie sie erstmals von Künstlern aus dem Kreis von E.A.T. für die Expo 1970 in Osaka realisiert wurden, durch die Industrie (Pepsi-Pavillon) andererseits zu den 1970er Jahren mit ihren Mega-Multimediaperformances als Popevent (etwa Jeffrey Shaw und Genesis, Pink Floyd; Mark Boyle und Soft Machine). Die Gebilde der Kinetiker, die pneumatischen und partizipativen Objekte wie auch die vielfältigen Techniken der Projektion gingen nahtlos in die immer perfekteren Bühnenevents und Lightshows der Popindustrie über. Von Bewusstseinserweiterung war nun nur noch in pharmazeutischer Hinsicht die Rede und kollektive, kollaborative Events wurden zu Massenveranstaltungen, der Körper zu einer massenmedialen Ikone auf der Bühne.
Dass sich massenmediale Popevents auch aus der Performance-Tradition entwickeln konnten, bewies Laurie Anderson: »Ich bin in meinem Körper wie andere Leute in ihrem Auto«[31] – ihre Karriere von einer
Straßenperformerin zur Popikone der Intellektuellenin den frühen 1980er Jahren mit »United States I-IV« ist paradigmatisch. Ihre einzigartige Bühnenshow aus persönlicher Erzählung, technologisch verfremdeter Stimme, medialer Abtastung des Körpers und einem assoziativen Bildpool basiert auf den massenmedialen Erfahrungen einer Generation, die mit der Popindustrie ebenso wie dem Fernsehkonsum aufwuchs.
In Europa war die Integration von Bühnenperformance und Medialisierung widersprüchlicher und konfliktbeladener, kann hier aber auch nur exemplarisch angeführt werden. Die katalanische Truppe La Fura dels Baus inszenierte unter Einsatz maschinischer wie elektronischer Apparaturen in den 1980er Jahren eine Reihe von körperbetonten Spektakeln, in deren Mitte immer wieder der Zuschauer als Zielscheibe der entfesselten Aktionen der Schauspieler stand.[32] Die Truppe ist aber heute dort gelandet, wo sie ursprünglichnicht hinwollte, auf der klassischen Bühne. In diesem theatralischen Panorama[33] darf eine technologisch avancierte Truppe wie die japanischen MultimediakünstlerInnen von Dumb Type (englisch)[34]nicht fehlen, die gegenüber dem ultimativen Körpereinsatz gerade die Medialisierung der Körper in aufwändigen Bühnenaufführungen inszenierten.
Es führt eine klare Linie von den theatralischen Experimenten der »9 Evenings« zu den multimedialen Spektakeln der Rockbands wie auch der internationalen Theaterszene mit William Forsythe, Robert Lepage, Robert Wilson oder der Wooster Group. Die technischen und logistischen Schwierigkeiten der »9 Evenings« zeigen schon früh die bis heute andauernde Ambivalenz gegenüber dem Live-Aspekt von Elektronik, so dass sich viele Regisseure nur zögerlich auf die Unwägbarkeiten technologischer Sets oder gar interaktiver Performances eingelassen haben. Viele Experimente betonten daher immer, aus ideologischen, aber eben auch pragmatischen Gründen, den nicht ergebnisorientierten, sondern prozessorientierten Ansatz. Die Neugier, neues Terrain zu besetzen, bezog sich jedoch nicht nur auf den klassischen Theaterort und ließ etwa den Künstler Alex Hay bereits 1966 sagen: »Ich möchte noch die leisesten Körpergeräusche aufzeichnen, Gehirnströme, Herztöne, Muskeltöne, und diese Aktivitäten, ihre
unterschiedlichen Tempi und Wertigkeiten, verstärken.«[35] Das Zitat zeigt, wie sehr utopische Visionen sichgerade mit dem Durchdringen und Verstärken des Körpers und seiner Verkopplung mit den Medien verbanden. Hieran arbeiteten in der Folge viele Performance-KünstlerInnen auf unterschiedliche Weise und in Opposition zu den Orten der Massenmedien und theatralischen Shows. Während das Fernsehen einen auch global immer zentraleren Stellenwert bei der In-Formierung der Gesellschaft einnahm, setzten KünstlerInnen umso mehr auf den direktesten lokalen Bezug: ihren eigenen Körper.
Die dünne Grenzziehung zwischen persönlicher Erfahrung und gesellschaftlicher Situation wurde vor allem bei den Performances von Abramovic/Ulay thematisiert. Ihr Credo – »Lebendige Kunst – kein fester Wohnsitz/permanente Bewegung/direkter Kontakt/lokaler Bezug/Selbst Auswahl/Grenzüberschreitung/Risikobereitschaft/bewegliche Energie – keine Probe/kein vorherbestimmtes Ende/keine Wiederholung«[36] – unterstreicht dabei gerade die psychische Dimension und das Risiko der eigenen Arbeit. Das Künstlerpaar hat die wohl konsequenteste und längste Serie von Performances realisiert, deren Motto immer »ohne Probe« war und die in vielfältiger Form die Grenze zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen sich und dem andern, zwischen Zuschauen und Eingreifen ausgelotet haben. Während die psychische Dimension einer extremen Körpererfahrung über die Zeit im Zentrum ihrer Arbeit als Paar stand, hat Ulay 1976 in »Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst« als kritische Reflexion auf die Massenmedien und die bürgerliche Institution Museum einen realen Kunstraub initiiert und auf Video dokumentiert. Das ›Bitte nicht berühren‹ der Kunstobjekte im Reich der Institutionen wurde hier gezielt verletzt, um die vorhersehbare Reaktion der Medien und Boulevardblätter in der Folge in die Aktion einzubinden.
Performances manifestieren sich zunächst vor allem jenseits der traditionellen Kunstorte. Sie expandieren auch in die privatesten Räume und erproben die unterschiedlichsten Ansätze. Performances alleine für die Videokamera und die zeitversetzte Rezeption beharrten auf dem Kunstaspekt und misstrauten den Versprechungen einer partizipatorischen Involvierung des Publikums – siehe Bruce Naumans frühe Filme und Videotapes oder Jochen Gerz' »Rufen bis zur Erschöpfung« (1972). In anderen Arbeiten wurde demonstriert, wie berechenbar gewalttätig die Reaktion des Publikums gerade in Konfrontation mit medialen Dispositiven war (Jochen Gerz, »Purple Cross for absent now«, 1979). Aktionen im öffentlichen Raum an der Grenze zur Wahrnehmbarkeit (»Ausstellung von Jochen Gerz neben seiner fotografischen Reproduktion«, 1972) standen im Gegensatz zur provokanten Intervention – Valie Export und Peter Weibel in »Aus der Mappe der Hundigkeit« (1969).Vito Acconci hat für seine eigenen Arbeiten eine Klassifikation versucht.[37] Zwischen der fast privaten Geste/Haltung wie bei Gerz und der öffentlichen Intervention siedeln sich Konzepte an, die gerade die Verschränkung des privaten mit dem öffentlichen Raum erforschen. Eine Performance kann so zwar zuhause stattfinden, jedoch auch einen öffentlichen Addressaten haben. Vito Acconci beschreibt »Step Piece« (1970) so: »Das Publikum kann meine Handlung in meiner Wohnung jederzeit innerhalb des Monats der Performance sehen; wenn ich nicht zuhause sein kann, werde ich sie überall da ausüben, wo ich mich gerade befinde.«[38] Die Räume für Kunstaktionen wurden also auch bewusst in die Privatsphäre der Künstler erweitert und als kulturell wie politisch codierte Räume potenziert. Wie der private Raum öffentlich überwacht wird und wie eine private, sexuell explizite Aktion vom totalitären Staat als eine Gefährdung der Öffentlichkeit interpretiert werden kann, das zeigte
Sanja Iveković 1979 mit ihrer Aktion »Triangle«. Diese fotografisch dokumentierte Aktion verweist gleichzeitig auf die medialen Dispositive des Überwachungsstaats und die daraus resultierenden Praktiken vor allem der osteuropäischen KünstlerInnnen, den politischen und kollektiven Körper zu thematisieren.[39] Inwieweit der kollektive Körper ein durch die Bildgeschichte und Bildmedien propagierter Körper ist, wird weiter unten noch ausgeführt.
Der Realität staatlicher Kontrolle im Osten stand die konkrete Suche nach unüberwachten ›herrschaftsfreien Räumen‹ im Westen gegenüber. Kollektivität als gruppendynamischen Prozess herzustellen, unterstreicht Lygia Clark, wenn sie zu »Baba Antropofágica« von 1973 sagt: »Wir erreichten eine Art von, wie ich es nenne, ›kollektivem Körper‹, einen Austausch von Intimitäten zwischen Menschen. Das ist überhaupt nichts angenehmes […] und das Wort Kommunikation ist viel zu schwach, um das auszudrücken, was in der Gruppe passiert.«[40] Der Körper konnte sich noch so sehr mit anderen zu einer temporären, flexiblen Struktur verbinden, wie es inden Gruppenaktionen von Lygia Clark oder den multimedialen, benutzbaren Installationen von Hélio Oiticica der Fall war, er blieb zur gleichen Zeit auch eine hermetische Grenze. Der Körper ›offenbarte‹ sich allein der Innenansicht und der psychischen Erfahrung des eigenen Körpers. Bruce Nauman definierte den Körper als »sphere« und arbeitete mit isolierenden und anonymisierenden Körperkonzepten, »mentalen und psychischen Aktivitäten«[41]. Seine Performance ohne Zuschauer allein im Studio wird nun zu einem performativen Akt, den der Zuschauer allein vollziehen muss wie im »Live-Taped Video Corridor« (1970). Dieser das Ich sowohl im Produktions- wie im Rezeptionsprozess isolierenden Haltung entspricht Naumans späteres Diktum: »Ich misstraue der Publikumsbeteiligung.«[42]
Auch Gary Hill verweigert sich trotz seines Interesses und Erfolgs mit interaktiven Installationen – jeder Anbiederung an ein Publikum und beharrt auf der Autonomie des Kunstwerks: »Es gibt immer diese Wahrnehmung von etwas Undurchdringlichem in der Art und Weise, wie diese Arbeit eben nicht um ein Publikum buhlt, oder um überhaupt etwas außerhalb seiner selbst buhlt. Vielleicht ist dies das Abfallprodukt
aus meiner skulpturalen Arbeit, aber die Autonomie des Werks selbst ist mir nach wie vor sehr bewußt, jedenfalls soweit es darum geht, das Moment des Theatralischen in Schach zu halten.«[43] Das Schauen als Aktivität, wie 1996 in der Installation »Viewer«, wird zu einem performativen Akt auf der Seite der Zuschauer, während auf der ›anderen‹ Seite des Screens die einzige Handlung der Performer das Schauen ist.[44] Der Körper, der eigene wie der der anderen, wird bei Gary Hill wie im Grunde auch bei Bruce Nauman als letztendlich unhinterfragbare ›Sphäre‹, als Chiffre der Existenz weder durchdrungen noch erforscht oder gar medial verkoppelt. Es geht ihnen um eine körperliche Präsenz in der Zeit, aber eine Präsenz, die jeder für sich spüren muss. Zuschauer gehören eben dem Theatralischen an.
Wenn das, was bleibt, gerade die Kunst ausmacht, so Jochen Gerz, dann müsse konsequenterweise der Akt des Ausstellens von Prozessen künstlerisch gestaltet werden. Mediale Inszenierung, in einem weiteren Sinne jede ›time-based art‹, ist auch als ein performativer Aktin der Reproduktion, Reinszenierung oder Ausstellungsgestaltung zu sehen. Das Videotape bot hierzu ideale Bedingungen. In diesem Sinne wurden die Performances von Bruce Nauman, ohne Publikum allein für sich und die Videokamera in seinem Studio produziert, erst in einem performativen Akt in einer Installation vom Besucher rezipiert. Im Gegensatz zum Ereignischarakter vieler öffentlicher Happenings und Aktionen ging es Bruce Nauman schon in seinen frühen Filmen und Videotapes wie »Bouncing in the Corner« (1968) oder »Slow Angle Walk« (1968) um die Anonymität des Performers. Seine Videoperformances dauerten so lange, wie die Bandlänge war – 30 Minuten oder 60 Minuten. Es waren minimalistische und konzeptuelle Anti-Events, die auf seine Weise Andy Warhol als filmische Konzepte von Echtzeit zum Beispiel in »Sleep« (1964) erprobt hatte: Gerade dass nichts passierte, war das Ereignis. Der Widerstand des alltäglichen, banalen Akts wurde – zum medialen Ereignis deklariert – gegen die »Gesellschaft des Spektakels« aufgeboten. Eine Distanz zwischen Performer und ›Viewer‹ wurde auf diese Weise gebrochen gespiegelt, aber eben nicht eliminiert.
Diese Distanz gab dem ›Viewer‹ die Möglichkeit, etwas an sich selbst zu erfahren. Das allgemeine Konzept des Happenings – ›something happens‹ – transformierte sich so unter der Hand in ein psychologisierendes ›something happens with me‹. Naumans wie Acconcis Interesse galt nicht dem Video als Massenmedium, sondern gerade der privaten, ja intimen Qualität des Mediums und dem, was eine bewusste Begrenzung des Handlungsspielraums beim Betrachter und Besucher an Irritation auslösen kann. Intimität und Psychologie waren jedoch keine Kriterien der Subjektivität. Im Gegenteil, der Widerstand Warhols oder Naumans gegen einen Rekurs auf Natürlichkeit und Subjektivität fand sich komplementär im artifiziellen und theatralischen ›Posing‹ gespiegelt. Gilbert & Georges »Lebende Skulpturen« wie in ihrem Tableau für Gerry Schums Fernsehsendung »Identifications« (1970) setzten »gegen das Flüssige, Interaktive, Plurale das Künstliche, Rigide, Distanzierte und Vereinzelte«[45]. Das Beharren auf dem künstlerischen Aspekt hermetischer Chiffren körperlicher Präsenz oder die Variation tradierter Motive in performativen Skulpturen und Tableaux Vivants als theatralischer Pose – diesePole markierten einen zentralen Aspekt der Kunst der zeitbasierten Medien.[46] Damit war das Problemfeld umrissen, ohne eine Analyse dergesellschaftlichen und politischen Vektoren dieses Feldes leisten zu wollen. Dies jedoch interessierte Ende der 1960er Jahre mehr und mehr KünstlerInnen.
Der künstlerische Umgang mit der Speicherung von Erfahrung, Geschichte und Identität im Körper lässt sich archäologisch als Prozess einer Desillusionierung und Aufdeckung begreifen – nach dem Motto Richard Kriesches »Malerei deckt zu, Kunst deckt auf!« (1977 ) –, er lässt sich aber andererseits wie bei »Film No. 6, Rape« (1969) von Yoko Ono und John Lennon auch als Akt der Einschreibung demonstrieren und produzieren. Während Dennis Oppenheims Diktum »Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ereignis, mein Körper ist das Ergebnis.«[47] – siehe seinen Film »Two Stage Transfer Drawing« von 1972 – oder auch die Videoinstallation »Crux« (1983—1987) von Gary Hill noch eine klassisch künstlerische Sicht auf die Frage nach
der körperlichen Bedingtheit von Wahrnehmung zeigt, bezeugen Chris Burdens berühmte Aktionen wie »Shoot« vom 19. November 1971, in der er auf seinen Arm schießen ließ, oder auch »Prelude to 220, or 110« von 1976, in der er sich der Gefahr von Stromstößen aussetzte, die offensichtliche Überschreitung des Symbolischen. Der französische Künstler François Pluchart publizierte 1974 ein Manifest zur Body Art. Seine Formulierung trifft auch die auf die Medien zielenden Performances der frühen 1970er Jahre. Er nennt sie »unversöhnlich«, eine Form, in der »die Kraft einer Sprache zählt, die stört, zersetzt und offenlegt«[48]. Es ging also noch einmal – die Tradition von Antonin Artauds »Theaterder Grausamkeit« reflektierend – um das Unveräußerliche einer Erfahrung, die durch den Körper vermittelt wird. Die Kunsthistorikerin Kristine Stiles erkennt hierin die »Veranschaulichung des tiefen Glaubens an das Ich als Subjekt«, ein letztes Aufbäumen vor der drohenden Auflösung des Subjektbegriffs, was Carolee Schneemann so formuliert: »Performance Art trägt eine Unmenge an Zorn, Wut, Rebellion in sich, die in einer anderen Gesellschaftsform in positives soziales Handelnumgewandelt werden könnte, ein im physischen und offensichtlichen Sinn das Leben wie die Kultur unterstützendes Handeln. Dieses Ausmaß an Entfremdung und Zorn weist für mich auf den Zusammenbruch persönlicher Sinnstiftung auch im Sinn der Integration des Selbst in eine real funktionierende Einheit.«[49]
»Herausfinden, wieviel Realität die Menschheit aushalten kann.«[50] Was real ist, kannwohl nur in spezifischer Hinsicht beantwortet werden: philosophisch, biologisch et cetera. Medientheoretisch hieße die Frage also: Welches konstitutive mediale Moment ist der Realität eigen, oder handelt es sich hier um einen fundamentalen Gegensatz? Es hilft hierbei, noch vor den theoretischen Implikationen des Reality TV auf das hybride Verhältnis von Realität und Medialität in den Körperinszenierungen der Medien- und Aktionskunst zu schauen. Deren Formulierung lässt sich in vielen Arbeiten auch paraphrasierend formulieren: Herausfinden, wieviel Medialität die Menschheit aushalten kann. Die Konzentration auf den »Körper als (mediales) Ereignis« reflektierte aber auch Anfang der 1970er Jahre die Erfahrung, dass die
politischen Eingriffe in andere Medien und Kontexte nicht von nachhaltiger Dauer waren. Die Performance-KünstlerInnen sahen sich so zu gewalttätigeren Aktionen veranlasst, siehe die Arbeiten von Gina Pane, Mike Parr oder später noch von den Autoperforationsartisten in der DDR. ›Schießen Sie auf die Kunst‹, wie noch 1961 bei Niki de Saint Phalle und Tinguely, wurde nun zu ›Schießen Sie auf den Künstler‹ wie bei Chris Burdens »Shoot«. Gefahr und Schmerz als Katalysatoren wollte Chris Burden als Ausübungen von Macht und Selbstkontrolle im wörtlichen Sinn verstanden wissen.[51] Der Kunsthistoriker Henry Sayre unterstreicht dabei die implizite Medialisierung, wenn er auf den ›Marktwert‹ eines Künstlers verweist, auf den geschossen wird – bis dato nur Andy Warhol, auf den 1968 ein Attentat verübt wurde und dessen Gesicht medial zu einer Art Popikone der Kunst aufgewertet wurde.
Die Transformationen und Einschreibungen in den Körper sind jedoch nicht nur als visueller Akt zu begreifen. Valie Exports »Body Sign Action« von 1970 steht paradigmatisch für die unauslöschliche Einschreibung kultureller Codes in den Körper. DerKörper wird so zum Medium verschieden lesbarer Codierungen – ökonomisch, sozial, geschlechtlich. Peggy Phelan oder auch Marie-Luise Angerer folgern theoretisch: Performance lässt keine symbolische Repräsentation zu, sondern ist Darstellung des Realen, aber nicht als grundsätzlicher Gegensatz zum Medialen, da in diesem das Reale immer schon enthalten ist.[52] Dass Valie Export dies in einer öffentlichen Aktion der Tätowierung demonstriert, wendet diesen Akt der Einschreibung noch einmal in den Raum künstlerischer Identität: Als Akt der Selbstbezeichnung kann die geschlechtlich konstruierte Identität sichtbar und damit potentiell anders erfahrbar gemacht werden.[53]
Das neue und noch durch keine Tradition definierte Medium Video war von Anfang an ein wesentliches Mittel von Künstlerinnen wie Martha Rosler, Ulrike Rosenbach, Valie Export, Joan Jonas[54], um die Konstruktionsmechanismen und Zuschreibungen von weiblicher Identität aufzudecken. Sigrid Schade fasst zusammen, dass »Weiblichkeit nicht in bestimmten Ideal-Bildern definiert wird, sondern dass ihr Status das Bild-Sein ist, Bild aber des abwesenden Blicks: Projektionsfläche, Oberfläche«[55]. Seit den frühen
1960er Jahren inszeniert Carolee Schneemann lustvoll und exzessiv das Verhältnis von Bildproduktion und realen Körpern. Ihr kinetisches Augen-Körper-Theater[56] bewegte sich immer zwischen den Polen sinnlicher Exploration und feministischer Kritik an der Reduktion der Frau auf Images: »Ich durfte ein Bild sein, aber keine Bildermacherin, die ihr eigenes Selbstbild schafft.«[57] Besonders ihre Film/Aktion »More Than Meat Joy« (1964) und der Film »Fuses« (1967) begründeten ihren Ruf als Performerin sinnlicher Ekstase und fleischlicher Freuden. Dies trennte sie auch von den eher konzeptuell arbeitenden Fluxus-Künstlern: »In Fluxus wurde die Sexualität eher sublimiert und nicht in so offenkundig hedonistischer Weise dargestellt wie in den Performance-Praktiken in den Happenings und der Pop Art, die nebeneinander existierten, sich überlagerten und gelegentlich verknüpften.«[58] Es ist kein Zufall, dass sie von Anfangan auch an der von Jonas Mekas initiierten Bewegung des Expanded Cinema teilnahm und konsequenterweise ihr kinetisches Theater mit bewegten Objekten, Lichtern und Sound durch den Einsatz von Film und später auch elektronischenElementen unter anderem mit der Unterstützung von E.A.T. fortführte. In Deutschland wurde sie zum Beispiel für die Ausstellung »happening und fluxus« (1970) mit ihrem »Electronic Activation Room« eingeladen. Die notwendige und radikale Kritik an Bildern tradierter Weiblichkeit wurde bei Carolee Schneemann nicht in entsexualisierte Prozesse übersetzt, was ihren Performances einen sehr sinnlichen, spielerischen Aspekt verlieh. Dass ›Projektionsfläche‹ eben nicht immer einen Opferstatus implizierte, sondern auch offensiv umgedeutet werden konnte, zeigt vor allem in den 1990er Jahren der Erfolg von Künstlerinnen wie Pipilotti Rist, Sadie Benning oder Tracey Emin.[59] Sie alle sind in ihrer Arbeit ohne die Performances von Carolee Schneemann nicht denkbar.
Carolee Schneeman konnte mit dem Bildstatus spielerisch umgehen, aber sie unterschied wie die meisten doch klar zwischen Kunst und Leben. Niemand hat das Verhältnis von innerem Bild und äußerer Wahrnehmung und Zuschreibung auf radikalere Weise
zum Ort der eigenen künstlerischen Identität gemacht als die französische Performerin Orlan. In »The Reincarnation of Saint Orlan« hat sie seit 1990 eine Reihe von chirurgischen Gesichtsoperationen an sich vornehmen lassen, um bestimmte modellhafte Züge aus der Kunstgeschichte – ihre ›Modelle‹ waren Venus, Diana, Europa, Psyche und Mona Lisa – Fleisch werden zu lassen.[60] Christine Buci-Glucksmann spricht im Zusammenhang von Orlans Werken von dem Begriff Szenografie und dem Ereignis: »Was Orlan ausmacht, ist, dass sie eine Kunst des Ereignisses an sich schafft.«[61] Denn Orlans Operationen geschahen nicht nur nach medialen Images, sondern wurden auch selbst als mediales Ereignis für die Videokamera inszeniert.
Den eigenen Körper als Kunstobjekt nicht nur zu begreifen und zu nutzen, sondern auch als solchen öffentlich auszustellen – von Timm Ulrichs' »Selbstausstellung« über Gilbert & George, Abramovic/Ulay bis in neuerer Zeit zu Tanja Ostojić' »Personal Space« –, distanziert ihn gleichzeitig von der Berührung durch Besucher. Den Körper in einem weiteren Schritt möglichen öffentlichen Interventionen, Aggressionen und Verletzungen auszusetzen, wurde in vielen Fällensymbolisch vollzogen, in einigen Fällen jedoch auch als reales partizipatorisches Event inszeniert, zum Beispiel in Yoko Onos »Cut Piece« (1965), das Lynn Hershman noch einmal als Reminiszenz wiederholte und auf Video aufzeichnete – ein Rekurs, der im übrigen auch vielfach die Arbeiten von Vito Acconci betrifft, wie »Fresh Acconci« (1995) von McCarthy/Mike Kelley gezeigt hat. Das Schneiden, Ausschneiden, im weiteren auch Rasieren, Brennen und Verletzen wurde zu einem der Markenzeichen der späteren Body Art. Aber mehr noch als diese direkt den Körper einsetzenden Aktionen berührt aus heutiger Sicht der Mediengesellschaft die Konsequenz ihrer Reflektion von Medialität – bei Yoko Ono später auch als Reaktion auf die massenmediale Popularität ihres Mannes John Lennon. Als Grenzgängerin zwischen den esoterischen Fluxus-Zirkeln und den massenmedialen Beatles-Events hat sie zusammen mit John Lennon und dem ORF die Fernsehsendung »Film No. 6, Rape« (1969) produziert. Die hier inszenierte reale Verfolgung einer unbekannten, weiblichen Person mit einer Kamera nahm als Reality TV vieles von dem vorweg, was später als Spiel[62] oder »Big Brother«-Dauersoap aufwändig
inszeniert wurde. Der reale Eingriff in die Privatsphäre einer Unbekannten ging sehr viel weiter als eine konzeptuelle Aktion wie Vito Acconcis »Following Piece« (1969). Sie rührte an reale oder imaginierte traumatische Erfahrungen und hinterlässt noch heute einen beklemmend realistischen Eindruck. Diesem dialogischen Zwangsverhältnis zwischen Realität und medialer Aufzeichnung voyeuristisch zuzusehen, wird mit der Dauer immer unerträglicher.
Was Rassim Krastev in ironischer Replik auf den Körperkult des Westens als Aktion eines östlichen Künstlers wiederholt und in »Corrections 1996–98« auf Video dokumentiert, gehorcht der Logik des Warenwerts und Bildwerts. Auch das Material des Künstlers, die Intervention in den eigenen Körper, bleibt letztendlich die Produktion eines Images zur Kapitalisierung auf dem Kunstmarkt. Auf ähnliche Weise beruhen die Performances von Vanessa Beecroft, siehe eine der letzten von der Biennale São Paulo, »VB 50« (2002), mit nackten, stilisierten Frauenkörpern als Tableaus auf den ›Images‹ der Werbung und den utopischen Visionen zum Klonen von Körpern. Der Akt des Ausstellens und der Akt des voyeuristischen Zuschauens wird jedoch durch die Ereignislosigkeit beizunehmendem Verlauf der Performance immer nebensächlicher. Die Grenze zwischen Nackten und Bekleideten, zwischen Performern und Zuschauern wird undeutlich. Was bleibt, ist eine Situation nicht unähnlich dem Hintergrundrauschen des Fernsehens. Gelegentlich schauen wir hin, um zu überprüfen, ob das Programm inzwischen gewechselt hat. Dann wenden wir uns wieder anderen alltäglichen Beschäftigungen zu. In einer Ausstellungssituation ist es das unterbrochene Gespräch, das wir wieder aufnehmen. Interessanterweise wiederholt Vanessa Beecroft die Performances an einem anderen Tag ausschließlich für die elektronische Dokumentation, als wäre das Publikum nicht Teil der Performance, sondern nur in Kauf genommener Rahmen einer Performance. Vanessa Beecroft arbeitet zwar mit realen Körpern, aber meint am Ende wieder nur die Körperbilder. Fotografien – ›Stills‹ – sind daher das logische Verwertungsmedium ihrer Performances.[63] Die Aussetzung des eigenen Körpers wird hier nur noch den anderen als Lohnarbeit zugemutet. Über die Wahrheit des Körpers, was immer das sei, erfahren wir zumindest, dass er wieder zum Bild geronnen ist, auch wenn es ›live‹ ist.
Die Realität des Körpers wurde mit den Medien untersucht, aber oft auch gegen die Medien ins Feld geführt. Die Body Art war einerseits ein extremes Beispiel für das Festhalten an der prekären Subjektivität und körperlichen Essentialität des Ichs. Orlans Operationen andererseits zeugen von der kulturellen Determiniertheit jeder Körperbildung im wahrsten Sinne des Wortes. Die Eingangsthese einer Polarität zwischen Präsenz und Materialität des Körpers mithilfe der oder auch gegen die Medien sowie andererseits den Immaterialitäten und Potentialitäten, die das graduelle Verschwinden der realen Körper durch die Medien beinhaltet, wird nun in ihrer Verwurzelung in den 1960er Jahren erkennbar. Hier wurde der Grundstock zur Virtualisierung des Körpers gelegt, konzeptuell wie technologisch.
Im Zuge der Expanded-Cinema-Bewegung, also einer bewusstseinserweiternden Praxis, findet sich eine der frühesten Performances, die den Körper durch einen elektronischen Screen ersetzte. Mark Boyle und Joan Hills inszenierten in Liverpool 1966 »Son et Lumière: Bodily Fluids and Functions«. In ihrer Arbeit wurde eineder ersten Videoprojektoren in einem künstlerischen Kontext eingesetzt: »In der Spermasequenz vollzieht ein Paar, das an ein EKG und ein EEG angeschlossen ist, lustvoll Geschlechtsverkehr [hinter einer Leinwand verborgen], während die Oszilloskope der beiden Apparate als Closed-circuit-Video mit Hilfe eines ›Eidofor‹-Videoprojektors auf einen großen Bildschirm hinter ihnen projiziert wurden. Ihre Herzfrequenzen und Gehirnströme wurde in Echtzeit vorgeführt.«[64] Diese heute weitgehend unbekannte Arbeit gibt paradigmatischein zentrales Motiv vor: das Interesse an den unsichtbaren und prozesshaften Aggregatzuständen des Körpers, anders gesagt: am Bild des Körpers aus der ›Innensicht‹.
Diese Körperzentriertheit war bereits medientheoretisch in Oswald Wieners kybernetischem »Bio-Adapter« reflektiert worden. Nur kurze Zeit später gelang es dem Künstler Jean Dupuy und den Ingenieuren Ralph Martel/Hyman Harris im Rahmen der E.A.T.-Ausstellung »Some More Beginnings« den ersten Preis der Ausschreibung zu bekommen, verbunden mit der parallelen Ausstellung ihrer Arbeit an zwei renommierten Kunstorten, dem Metropolitan Museum
of Art und dem Museum of Modern Art in New York im Rahmen von »The Machine – As Seen at the End of the Mechanical Age«.[65] Ihre prozesshafte Skulptur »Heart Beats Dust« (1968) ermöglichte die Visualisierung des Herzrhythmus durch vorfabriziertes Bandmaterial, aber auch durch ein angeschlossenes Stethoskop.
Die ›Instrumentalisierung‹ und Verbildlichung des Körpers wurde in den letzten 40 Jahren immer weiter perfektioniert und nicht immer können KünsterInnen mit den Fortschritten der Technologie Schritt halten. Aber Körperprozesse, scheinbar nicht manipulierbar, als bildgebende Verfahren in Echtzeit einzusetzen, gelingt in performativen und partizipatorischen Closed-circuit-Installationen mit Sensoren, Interfaces und in letzter Konsequenz Implantaten. Spätestens mit den 1990er Jahren steht angesichts der biogenetischen Entwicklung nicht mehr die Freisetzung unter- oder unbewusster mentaler Prozesse im Vordergrund, sondern die Verknüpfung von Mensch und Computer in hybride Wesen. Erste Versuche eines künstlerischen Bio-Feedbacks kann man etwa an Ulrike Gabriels früher interaktiver Installation »Breath« (1992) erkennen. Der Unterschied war nun die Konfrontation mit demeigenen Innenraum als einem großformatigen, visualisierten abstrakten Gewebe. Damit war jenseits der Laborbedingungen im universitären Rahmen nun der hybride Raum als komplexer virtueller und immersiver Datenraum erfahrbar.[66] Der Besuch einer Installation wurde zum performativen Akt der Begegnung mit einer audiovisuellen Konstellation, die vom Körper getaktet wurde.
Doch diese Verkoppelung mit der Maschine ist weder angstfrei noch herrschaftsfrei. Den Körper als ›Schlachtfeld‹ technologischer, sozialer und ideologischer Kriege hat die Ars Electronica in den 1990er Jahren immer wieder thematisiert.[67] Das unterstreichtauch die Arbeit »Rehearsal of Memory« (1994–1995) von Graham Harwood/Mongrel. Auch mit der Theoretisierung einer feministischen Praxis wurde der blinde Fleck aller technologischen Debatten immer deutlicher: Das Subjekt – KünstlerInnen wie Partizipierende – ist ein gesellschaftlich und geschichtlich geprägtes Konstrukt. Das Happening und in der Folge auch die noch so radikalste Performance konnten keinen Zugang zu einem mythischen, vorgeschichtlichen, natürlichen Erlebnis bieten.
In jüngerer Zeit ist es unter anderem Marie-Luise Angerer, die für einen von der Gender-Theorie Judith Butlers geprägten Begriff des Performativen plädiert und notiert, »dass die Performance wesentlich die Bewegung (von Körpern und Bedeutungsprozessen) ist, die das Spektakel oder den Event antreibt«[68]. Sie folgert schließlich auch, dass »dem Körper in der Performance eine Eigenständigkeit zugesprochen werden [muss], die dem intentional handelnden Individuum vorausgeht«. Der Körper spricht, sei es der eines anderen, mein eigener oder ein kollektiver Körper – und Sprache ist, wie wir wissen, eine gesellschaftliche Konvention. Unter dieser Prämisse werden auch die scheinbar spektakulären und voyeuristischen Performances von Vanessa Beecroft zu komplex codierten Anti-Spektakeln.
Vanessa Beecroft demonstriert, wie das Serielle unserer Identitätskonstruktionen dennoch subtile, codierte Differenzen produziert. Doch ist ihr künstlerisches Konzept mit der Einweg-Kommunikation des Fernsehens – auf das sie ja auch wesentlichabzielt – vergleichbar. Hier wie dort informiert ein Sender viele Empfänger. Interessant wird es, wenn man wie Stelarc die Perspektive umdreht – viele ›informieren‹ einen. Der Körper wird zum syntopischen Ort, oder anders ausgedrückt: der eigene Körper wird auch telematisch zum Handlungsfeld der anderen.[69] Stelarc ist insofern der paradigmatische Schlusspunkt dieses Essays, als er in der Entwicklung seiner Projekte noch einmal den Weg von der Grenzerfahrung des realen Körpers zur Cyberutopie dislozierter Körper deutlich werden lässt. Anfang der 1970er Jahre begann er, mit Hilfe elektronischer Tools filmisch den eigenen Körper zu ›penetrieren‹. Er nennt seine frühen Filme des Körperinneren auch »probing« und »piercing«. Stelarc war somit einer der ersten, die medizinische bildgebende Verfahren am eigenen Körper in künstlerischer Absicht einsetzten. Berühmt wurde er danach mit seinen »Suspension«-Performances, die direkt aus der Tradition der Body Art abgeleitet waren. Der nächste Schritt war für ihn jedoch die Erweiterung und Bereicherung des Körpers durch physische wie virtuelle Extensionen, Performances mit »Third Ear«, »Virtual Arm« und anderen. In »Ping Body« (1996)
und »Fractal Flesh« (1995) geht es ihm um eine Mensch-Maschine-Symbiose, die im wahrsten Sinne des Wortes ›post-human‹ ist, insofern er sich selbst als schließlich sogar durch das Internet ferngesteuertes, maschinisches System darstellt. Die Performance vollzieht sich an einem konkreten Ort, real räumlich und körperlich sichtbar, aber die Einheit des Körpers ist aufgehoben. Er erweitert seinen Körper um maschinische Extensionen und sein Nervensystem um ein globales Netz von Synapsen: andere agieren durch ihn hindurch. Impulse aus dem Internet sind die Auslöser einer »bewegenden Bewegung«[70]: »Ich bin es leid, Leute über das Internet als einer Art von Fluchtmöglichkeit für ihre Körper reden zu hören. Das Internet soll ihrer Meinung nach eine Kommunikation von ›Geist-zu-Geist‹. […] Für mich umfasst Geist das Riechen, das Sehen – all diese Dinge erzeugen die Vorstellung eines Geistes in der Welt. Man sollte das nicht vom Körper trennen. Wir stülpen alte metaphysische Sehnsüchte über neue Technologien. Wir haben diesen transzendentalen Drang, dem Körper zu entfliehen, und wir stülpen das über die Technologie.«[71]
Der Virtualisierung der Körper, der Körperfunktionen und Begierden ließe sich ein weiteres Kapitel widmen.[72] Weltweit finden sich inzwischen eine Fülle von aktuellen performativen Ansätzen, die die reale Präsenz des Körpers, oft vermittels einer Tanzchoreografie, an einem gegebenen Ort mit Strategien der Dislozierung und Mediatisierung verbinden, siehe zum Beispiel Christian Zieglers Kooperation mit Tänzern in »scanned V« (2001), sowie mit Aspekten der Telematik und Internetanbindung in Echtzeit experimentieren. Als ein Beispiel hierfür sei die Company in Space genannt, eine von vielen multimedialen Theater/Tanz-Gruppen, die an den Schnittstellen von Internet und Live-Event arbeiten, um unser Verständnis des Begriffs von ›verteilter Autorenschaft‹ und ›augmented reality‹ in konkrete Verkörperungen vor Ort zu übersetzen.[73] Immer weniger wird das Verhältnis von real und medial an sich zum Themader Events, immer mehr werden das Erzählen und ein ganz neuer Umgang mit dem erweiterten Datenraum zum Zentrum des künstlerischen Interesses.
Der Einsatz neuer modularer Software für das telematische Arbeiten in Echtzeit ermöglicht es, die letzten Residuen avantgardistischer Konzepte der Moderne in der Vielfalt heterogener Datenräume aufzulösen. Immer mehr stülpt sich nicht nur ein Datenhelm über den Kopf des Performers, ganze Datenanzüge werden zu einer zweiten Haut. Es ist absehbar, dass man sie demnächst nicht mehr als ›zweite‹ Haut erkennen wird. Die Symbiose von Mensch und Datenimplantat ist längst begonnen und nicht nur in der Sciencefiction-Realität.
Die eingangs gestellt Frage nach der Realität des Körpers ist ununterscheidbar von seiner Medialität, sei es in biologischer Hinsicht als möglicherweise schon genetisch manipuliertes und somit im Hinblick auf ein imaginiertes Modell vorfabriziertes Wesen, sei es schon heute in seinem äußeren Aspekt, wie uns ›Kunstfiguren‹ wie Michael Jackson bereits überdeutlich vorgeführt haben, sei es schließlich in seinem performativen Aspekt als ein an binäre Codes gekoppelter Agent. Der Datenhandschuh ist überflüssig – der ganze Körper wird zur ›Mouse‹, zum Interface.Doch es wäre keine künstlerische Haltung, dies nur als Verlust von Subjektivität und Moral zu beklagen. Der neue Körper eröffnet Optionen und andere Identitäten. Nur die Zeit bleibt in allen zeitbasierten Medien und Projekten ein linearer Prozess – auch wenn das künstlerische Interesse wiederum als Gegenposition zur biogenetischen Veränderung des Menschen auf die subjektive Konfrontation mit Körperprozessen rekurriert, wie sie in den 1960er Jahren extensiv betrieben wurde. Low-Tech-Performances, zum Beispiel des kubanischen Videokünstlers Felipe Dulzaides in »On the Ball« (2000), sind symptomatisch für die ungebrochene Aktualität dieser aus der Anfangszeit der Medienkunst stammenden Positionen (besonders Vito Acconci). Wie immer der Körper gesehen, interpretiert, medialisiert oder dekonstruiert wird, er bleibt im Zentrum identifikatorischer Prozesse. Er ist, mit anderen Worten, in jedem Fall das ›Gegebene‹.