RELOAD
25.9. bis 3.12.1999    english

Öffnungszeiten: Mi - Fr, 15 - 19 Uhr. Jeden Mittwoch ab 20 Uhr "Game-night" (während der Kunstmesse Art Forum Berlin täglich geöffnet von 15 - 24 Uhr)

mit: Tom Ehninger, Holger Friese, Astrid Herrmann, Christine Meierhofer, Florian Muser & Imre Osswald, Jason Rhoades, Stefan Wieland

Trotz ihrer enormen ökonomischen und sozialen Relevanz haben Online-Spiele auch heute noch den Nimbus des Nutzlosen und des Slackertums. Diese Spiele zeigen jedoch beiläufig und präzise die Veränderungen im Umgang mit medialen Realitäten und sind gleichzeitig ein gutes Beispiel für die Struktur des World Wide Web und die Entstehung von virtuellen Gemeinschaften.

reload (engl.) 
1. (Internet) aktualisiert einen zuvor angewählten Inhalt, 2. (Techn.) nachladen, aufladen 

Die Ausstellung erschließt sich auf drei Ebenen: Realraum, Modell und virtueller Raum. Von begehbaren Einbauten über Modellen von Spiele-Architektur bis zu neuen Räumen für Computerspiele führt der Weg aus der analogen Welt in den Cyberspace und wieder zurück. 
 

Spielelevels
 
Tom Ehninger
bezieht sich in seiner Arbeit auf den Entwurf eines Hauses von Robert Mallet-Stevens aus dem Jahre 1923. Dieses vom kubistischen Stil beeinflusste Gebäude des französischen Architekten mit seinem dynamischer Aufbau setzt er als Quake-level um und beschäftigt sich darüber hinaus mit den besonderen Eigenschaften der Texturen, des Lichts und des Echtzeit-3D-Renderings im Computerspiel "Quake".

Holger Friese
reduziert die oftmals architektonisch opulenten und mit düsteren Texturen belegten Spiellevel auf einfache, in einem grossen leeren Raum schwebende Elemente. Fast alle Texturen stammen aus seinem privatem Internet - Bildarchiv; somit werden die mystischen, dunklen Räume zu Plattformen die mit Küchenhandtuch-Karo oder Rauhfasertapete belegt sind. Neben den optischen Veränderungen greift er auch tief in die Spielstruktur ein. Nicht nur die Mitspieler sind Gegner, sondern machmal wird das Level selbst zum Feind. Decken und Wände entpuppen sich als bewegliche Elemente, dringend benötigte Waffen oder Munition sind nur schwer zu erreichen, Hinweisschilder sollen gelesen werden, oder der Spieler befindet sich unvermittelt in einem Raum, der keinen wirklichen Ein- oder Ausgang hat. Genau in diesem Raum jedoch sind Waffen und Munition im Überfluss vorhanden. Das Level erschwert das klassische Spielziel, quantitativ effektiver zu töten als die Mitspieler, optisch und inhaltlich, bereichert aber das Spiel mit neuen Komponenten, bis hin zum Suizid als einzige Möglichkeit weiterzuspielen.

Christine Meierhofer
player.gifbenützt einen bereits existierenden Level und tauscht die Texturen aus, die die Oberflächen bedecken. Diese neuen Texturen verwandeln den Level in ein Drahtgittermodell. Auch alle Spieler, Waffen, Munition etc. werden auf diese Weise bearbeitet. So wird das Spiel total verändert: Die Navigation wird erschwert, man muß sich völlig neue Orientierungsmethoden zurechtlegen. Durch die Reduktion auf Linien erfolgt eine Abstraktion nicht nur des Raumes, sondern auch des Geschehens. Die normalerweise blutrünstige Darstellung bekommt Comic-Charakter und wird dadurch verharmlost.

Florian Muser und Imre Oswald
haben als "NoRoom Gallery" die Architektur des Anbaus der Hamburger Kunsthalle als Spielort und Schauplazt programmiert.
Die Räume sind maßstabsgetreu nachgebildet und sämtliche Ausstelungsstücke hängen an ihrem richtigen Platz. 
Die Kunstausstellung wird zur Kulisse für den Kampf der Spieler im Internet. Während diese sich in der virtuellen Location bekämpfen, bietet sich dem Besucher die Möglichkeit eines virtuellen Besuch in der aktuellen Ausstellung. Dabei ist er aber immer den Gefahren des Kampfes ausgesetzt. Dort, wo sonstgdg_Logo.gif schlimmsten Falls die Wortsalven des Museumspädagogischen Dienstes den Besucher am kontemplativen Kunstgenuss hindern, machen es ihm die Geschosse von heranstürmenden Playern herzlich schwer bis in die 3. Etage zu den deutschen Malern vorzudringen.


Ausstellungsarchitektur
 
Stefan Wieland
wird die Ausstellungsarchitektur dem Thema anpassen. Durch labyrinthartige Einbauten, die die Ausstellungsbesucher zwingen sich ähnlich wie in einem Spielelevel auf mehreren Ebenen durch die Ausstellung zu bewegen, soll eine angemessene Raumsituation zur Integrierung der anderen Kunstwerke und der technischen Installation entstehen. 


Modelle
 
Astrid Herrmann
zeigt reale (analoge) Raummodelle von Spielelevels diverser Computerspiele, die sie anhand von entsprechenden Screenshots nachgebaut und somit "entvirtualisiert" hat.
Für RELOAD schuf sie ein Modell des DM4-Levels aus Quake.

Eröffnungsevent
Jason Rhoades
Für den Eröffnungsabend der Ausstellung ist der Einsatz von Jason Rhoades' "Frittenkanone" (1994) geplant. 
rhoades.jpg
A.B.S. Gun with Pome, Fritz, Choke and Aqua Net, 1994

Diese Waffe ist aus Baumarktteilen und Tape zusammengebastelt, unter Einsatz von Haarspray als Treibmittel voll funktionsfähig und produziert in sehr eindrucksvoller Weise aus ganzen Kartoffeln Pommes Frittes. Während der Eröffnung soll diese Waffe vorgeführt werden und für den Rest der Ausstellung als Objekt zu besichtigen sein.


Installation

In den Ausstellungsräume werden 4 vernetzte Spielstationen eingerichtet, auf denen die von den Künstlern gebauten Levels gespielt werden können und zwar sowohl im lokalen Netzwerk als auch mit Internetbeteiligung. Auf dem öffentlichen RELOAD Quake-server läuft das Spiel auf Basis der Künstler-levels rund um die Uhr.
Um den unwissenden Besuchern einen Einblick in die Materie zu verschaffen werden auch Durchläufe aus dem "normalen" Quake gezeigt. (z.B. die Demos der Weltmeisterschafts-Endspiele.)


Quake

Der Klassiker unter den sogenannten First-Person-Shootern, Quake, erschien 1996 und revolutionierte sowohl durch seine modulare Engine (Software-kern) als auch durch seinen Online-Multiplayer-Modus den Spielesektor. Als erstes echtes 3-D Spiel begründete es ein Genre, das sich, auch wegen seiner weitreichenden Editierbarkeit, bis heute wachsender Beliebtheit erfreut. 
Die freie Veröffentlichung des Codes im Internet erlaubt es dem User, mit einfachen Hilfsprogrammen eigene Levels zu konstruieren; darüber hinaus programmieren Fans und Spieler hunderte von kleinen, zum Teil sehr kuriosen, Modifikationen und Funktionserweiterungen. 
Auch werden ständig Figuren der Popkultur wie z.B. Sailor Moon, eine japanische Manga-Heroine, Batman, Beavis and Butthead, Pamela Anderson, etc., als neue Spielfiguren/Gegner recycelt und in die Spiele eingebunden. 
All das wird über die Websites der Fans und Clans kommuniziert und zum Download angeboten. 
Neuere Spiele und -versionen wie Quake3, Unreal oder Halflife, die zum grossen Teil auf weiterentwickelten Quake-Engines basieren, ändern an der grundsätzlichen Spielidee "wie bewege/verhalte ich mich, um erfolgreich zu sein/zu überleben" wenig, sondern warten hauptsächlich mit verbesserter Grafik und erweiterten Interaktionsmöglichkeiten (Sprache) auf. 
Hier begründet sich eine schnell wachsende Underground-Community, die ihre eigenen Regeln pflegt und ihre eigene Sprache spricht. In Amerika bemühen sich schon länger Sponsoren aus der Computerindustrie um diese Szene, indem sie Preisgelder für Wettbewerbe ausloben (der Quake-Weltmeister gewann einen Maserati) oder LAN-parties ausrichten. In Deutschland geraten Online-Spieler zur Zeit ins Visier der grossen Medienkonzerne (Bertelsmanns Game-Channel, Web-Player von Saturn). Hier vollzieht sich gerade der Übergang vom Subkulturphänomen zur werbetechnisch relevanten Mainstream-Community. 


Theorie 

In der Computerkultur mit ihren Vorstellungen der digitalen Zukunft bietet sich als ein neues Beschreibungsmodell für Daten im Cyberspace zunehmend der Begriff des Labyrinth an. 
Im Labyrinth sind narrativ gestaltete Räume als Reise angelegt, in der das Publikum zur Hauptfigur wird, von den Kuppeln von Brunelleschi oder Mantegna in der Renaissance bis zu Computerspielen wie Sim-City, Quake, Myst, Kasinos, Vergnügungsparks, Futurama (Weltausstellungen in New York von 1939 und 1964), Strategiesimulationen, Installationsräumen in Galerien und Museen. 
Das alles sind Varianten von begehbaren anamorphischen Orten - nicht zufällig gleicht der Gang durch ein Einkaufszentrum einem Computerspiel.
 

Anamorphose,  die; -,-n 1. (tech.) verzerrte Abbildung, die bei der Filmprojektion eingesetzt wird 
2. in der Malerei eingesetztes Stilmittel der verzerrten Abbildung 

Um ins Labyrinth einzutreten gibt man die Kontrolle auf und ergibt sich vorgegebenen Spielregeln, die auf eine bestimmte Weise vollzogen werden müssen. Insofern sind Computerspiele durchaus mit Riten vergleichbar. Der Umgang mit ihnen nimmt auch etwas Rituelles an, sobald viele globale Mitspieler über eine Onlineverbindung hinzukommen, es entsteht ein Gemeinschaftserlebnis, bei dem man etwas zusammen macht. 
Das Netz und all die digitalen Spielereien, durch die wir in das Reich der Möglichkeiten eintauchen und uns vom modernen Glauben an die fragile Objektivität verabschieden, produzieren einen begeisterten Hang zur Oberfläche, zu den Phänomena selbst. 
Wie die Popkultur bestehen sie aus kurzen, intensiven Momenten, die schnell wieder vergessen werden; allerdings wird es, zum Beispiel durch die Vervielfältigung der Erzählperspektiven, dem Benutzer ermöglicht, sich die Relativität der Interaktionsprozesse bewußt zu machen. 

Stand: 24.9.99

Die Ausstellung wird unterstützt von: 
www.502.org
Suzi Greiner
Gregor Jansen
Jens & Friends
Fa. Kluwe
Michael Onnen/Topsid
Michael Messner
mint interactive media
Quad Design